Geld ist nicht das Problem
Wie Industrialisierung die Energiewende beschleunigen kann

17.01.2025 | Artikel
Die Energiewende ist ein Generationenprojekt. Und eines, das viel Geld kostet: Bis 2035 müssen allein in Deutschland 1.2001 Milliarden Euro investiert werden. Doch das Geld ist vorhanden. Die eigentliche Hürde ist, es nicht schnell genug ausgeben zu können. Die Gründe dafür sind vielfältig. Neben der Regulatorik und den Genehmigungsverfahren haben vor allem die Energietechnikunternehmen Probleme, die enorme Menge an Infrastruktur und technischen Anlagen zu produzieren.
Strom ist der Treibstoff unserer modernen Gesellschaft. Wir benötigen viel davon – möglichst schnell und umweltschonend produziert. Die effiziente Herstellung, Verteilung und Nutzung ist die wohl größte Herausforderung seit der industriellen Revolution. Der Ausdruck „Energiewende“ ist mittlerweile fest in unserem Sprachgebrauch verankert. Er bezeichnet den Übergang von fossilen und nuklearen Energiequellen hin zu erneuerbaren Energien wie Wind, Sonne und Wasser. Um die CO₂-Emissionen zu reduzieren, dem Klimawandel entgegenzuwirken und eine nachhaltige Energieversorgung zu gewährleisten, soll Deutschland bis 2045 klimaneutral werden.
Globale Ziele und nationale Herausforderungen
Globale und europäische Richtlinien, wie das Pariser Klimaabkommen oder der European Green Deal, geben die übergeordnete Ausrichtung für die Energiewende vor. Auch auf nationaler Ebene setzen Gesetze und Verordnungen den Rahmen für den Ausbau von Erzeugungsanlagen und Netzinfrastruktur. Genehmigungsverfahren in diesem Bereich gehören zu den langwierigsten. Der Bau eines Windparks kann bis zu sechs Jahren dauern. Noch länger benötigt der Ausbau des Stromnetzes. In den letzten zehn Jahren stiegen die jährlichen Investitionen in deutsche Übertragungsnetze von drei Milliarden Euro auf 4,5 Milliarden Euro. Bis 2035 soll das jährliche Investitionsvolumen auf 26,4 Milliarden Euro anwachsen.2 Dies bedeutet eine Steigerung um den Faktor sechs. Die betroffenen Anlagen sind hauptsächlich Übertragungsstationen und Umspannwerke. Diese sind derzeit nicht standardisiert, was zu langen Lieferzeiten führt. Aktuell beträgt die Lieferzeit der Hersteller bis zu 30 Monaten.3 Mit dem bisher in der Industrie vorherrschenden sehr individuellen und projektgetriebenen Ansatz ist dieses Ziel nicht zu erreichen.
Um diesen Herausforderungen gerecht zu werden, baut Deutschland weiter bürokratische Hürden ab. Angesichts rückläufiger Regulierungen sind nun mehr denn je die Unternehmen gefordert, ihren Beitrag zu leisten. Bei abnehmender Regulatorik heißt es jetzt, schnell und effizient zu agieren. Die Technologie, wie beispielsweise Wind- und Solaranlagen, ist verfügbar. Nun geht es darum, die Umsetzung zu beschleunigen und die Netze und Speichermöglichkeiten auszubauen.
Deutschland steht vor der Herausforderung, den steigenden Strombedarf zu bewältigen, während die Strompreise derzeit drastisch steigen. Aufgrund der zunehmenden Elektrifizierung in den Sektoren Verkehr und Wärme wird der Strombedarf in den nächsten Jahren weiter anwachsen: von etwa 560 Terawattstunden (TWh) im Jahr 2021 auf 750 TWh bis 2030.4 Um die Energiewende erfolgreich zu gestalten, müssen bis dahin 80 Prozent des Stromverbrauchs durch erneuerbare Energien gedeckt werden. Dies erfordert nicht nur eine Reduktion der CO₂-Emissionen, sondern auch eine stabile und zuverlässige Energieversorgung – die wirtschaftlich tragfähig ist und von der Bevölkerung akzeptiert wird. Der Fokus richtet sich dabei sowohl auf die Energieerzeugung als auch auf die Energieverteilung. Dafür müssen technische Lösungen für CO₂-neutrale Stromerzeugung, leistungsfähige Netze zur Übertragung des erzeugten Stroms und zuverlässige Speichertechniken aufgebaut werden. Der Netzentwicklungsplan Strom 2023-2037/2045 der Bundesnetzagentur umfasst beispielsweise Mittel für 4.800 Kilometer neuer Leitungen und etwa 2.500 Kilometer für Verstärkung bereits vorhandener Verbindungen.5 Die Finanzierung ist beispielsweise über Netzentgelte gesichert. Doch schnell investiert werden können die finanziellen Mittel nicht.
Produkte standardisieren, Effizienz steigern
Die Energietechnikunternehmen stehen vor der Herausforderung, ihren Output drastisch zu erhöhen. Um schneller in erneuerbare Energien investieren zu können, müssen die Unternehmen der Energiebranche ihre Prozesse stärker industrialisieren. Ein zentrales Problem ist dabei die fehlende Standardisierung ihrer Produkte. Bisher arbeiten Unternehmen oftmals ausschließlich projektgetrieben nach individuellen Vorgaben von Versorgern und Betreibern – ohne standardisierte Produktkataloge und ohne enge Abstimmung mit den Betreibern. Dies führt zu ineffizienten und langwierigen Prozessen und erschwert die Umsetzung der Energiewende. Beispiel SuedLink: Der Bau dieser 700 Kilometer langen Stromtrasse von Nord- nach Süddeutschland sollte ursprünglich 2022 fertig werden. Aktuell ist die Inbetriebnahme für 2028 geplant.6 Solche Großprojekte zeigen, dass die derzeitige Geschwindigkeit nicht ausreicht, um die ambitionierten Ziele der Energiewende zu erreichen. Hier setzt die Industrialisierung an. Durch Standardisierung wird es möglich, Produkte effizienter zu entwickeln und zu produzieren. Dies gelingt jedoch nur, wenn Hardware-Hersteller und Betreiber eng zusammenarbeiten. Das gemeinschaftliche Vorgehen hilft dabei, Angebot und Nachfrage besser koordinieren zu können, und bietet eine höhere Skalierungsmöglichkeit.
Die hohe Individualität und unterschiedliche technische Voraussetzungen wie etwa bei den Netzanschlussbedingungen führen zu erheblichen Verzögerungen. Betreiber und Versorger vergeben oft „schlüsselfertige“ Projekte, bei denen der Lieferant für die gesamte Umsetzung verantwortlich ist. Dies führt zu einem „Wildwuchs“ in der technischen Landschaft. Eine mögliche Lösung wäre die Vereinheitlichung, Standardisierung und Produktisierung der Prozesse und Komponenten. Dies würde nicht nur die Effizienz steigern, sondern auch die Lieferzeiten erheblich verkürzen. Bestellt ein Betreiber derzeit einen Transformator bei einem Hersteller, kann die Lieferung mehr als drei Jahre dauern. Durch Produktisierung sind Lieferzeiten von unter zwölf Monaten möglich. Ein Beispiel aus dem Gebiet der Umformtechnik zeigt, dass dadurch erhebliche Effizienzsteigerungen möglich sind. So konnte etwa die Produktion von Industriepressen des Herstellers Schuler deutlich beschleunigt werden. Dies verdeutlicht, welches Potenzial die Industrialisierung birgt. Erste Beispiele im Energiesektor deuten darauf hin, dass auch hier eine ähnliche Beschleunigung möglich ist. Mit einem zehnfachen Output wäre das Geschwindigkeitsproblem der Energiewende gelöst – eine Mammutaufgabe, aber sie ist machbar.
Fazit
Die Energiewende geht mit vielen Bedingungen einher: Sie wird nur gelingen, wenn das vorhandene Geld zügig investiert wird. Die notwendige Geschwindigkeit kann durch die Industrialisierung der Energiebranche erreicht werden. Voraussetzung für die Industrialisierung ist die Produktisierung, wofür eine engere Zusammenarbeit von Hardware-Herstellern und Betreibern nötig ist.
Appendix
- (1)
https://www.bdew.de/service/publikationen/kapital-fuer-die-energiewende-die-ewf-option/
- (2)
- (3)
https://magazin.n-ergie.de/artikel/energiewende-wie-viel-zeit-haben-wir/
- (4)
https://www.bmwk.de/Redaktion/DE/Dossier/strommarkt-der-zukunft.html
- (5)
https://www.bundesnetzagentur.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2024/20240301_NEP.html
- (6)
New Suedlink section for more green electricity in Southern Germany - ZDFheute