Die Ökonomie der Komplexität

Profitabler durch gezielte Straffung des Produktportfolios

Product Portfolio Streamlining Porsche Consulting
22.08.2025 | Artikel

In den industriellen Zentren Europas – und insbesondere in Deutschland – war die Fähigkeit, Produkte auf die spezifischen und oft sehr unterschiedlichen Anforderungen der Kunden zuzuschneiden, lange ein zentraler Erfolgsfaktor. Im Laufe der Zeit wurde dieses Bekenntnis zur Individualisierung zum Standard in der Produktentwicklung: Jede Kundenanfrage, so klein sie auch sein mag, findet ihren Weg ins Portfolio. Neue Varianten werden hinzugefügt, aber nur wenige wieder entfernt. Das Ergebnis? Ein ausuferndes, überladenes Portfolio.

Dieses pfadabhängige Wachstum führt häufig zu Portfolios mit Hunderten – wenn nicht Tausenden – von Artikelnummern, die nur wenig Mehrwert schaffen. Viele davon werden in geringen Stückzahlen produziert, erzielen minimale Margen und erfordern einen unverhältnismäßig hohen internen Aufwand. Da sie über mehrere Abteilungen und Systeme hinweg existieren, bleiben ihre tatsächlichen Kosten und Auswirkungen oft verborgen. Erst durch eine systematische Überprüfung wird das Ausmaß des Problems deutlich.

Im heutigen Geschäftsumfeld – geprägt durch globalen Wettbewerb, steigende Inputkosten und den Wandel hin zu agilen, kundenzentrierten Organisationen – ist diese unkontrollierte Komplexität nicht länger tragbar. Sie stellt vielmehr ein strategisches Risiko dar. Unternehmen, die sich dieses Problems nicht annehmen, laufen Gefahr, nicht nur bei den Kosten, sondern auch bei Innovationsgeschwindigkeit, Marktanpassungsfähigkeit und Kundenzufriedenheit abgehängt zu werden.

 

Wenn Vielfalt zur Last wird: viele Artikel, geringe Rendite

Die Ökonomie eines überladenen Produktportfolios folgt einem bekannten, aber oft ignorierten Muster: der 80/20-Regel. Hiernach generieren rund 80 Prozent der Produkte nur 20 Prozent des Umsatzes – und tragen noch weniger zum Gewinn bei. Diese schwachen Artikel verstecken sich im sogenannten „Long Tail“ des Portfolios. Ihr individueller Einfluss mag gering erscheinen, doch in Summe stellen sie eine erhebliche Belastung für Marge, Fokus und operative Kapazitäten dar.

Hinter jedem Produkt verbirgt sich eine Kosteninfrastruktur: von der Beschaffung spezieller Materialien und der Konfiguration von Produktionslinien über Dokumentationsvorgänge, die Schulung von Mitarbeitenden, das Logistikmanagement bis hin zur Integration in IT-Systeme – jeder Artikel hinterlässt einen Fußabdruck. Multipliziert man dies mit Hunderten von Produkten, wächst die versteckte Kostenbasis beträchtlich.

Die Straffung dieses „Long Tails“ ist nicht nur eine Maßnahme zur Kostensenkung. Richtig umgesetzt wird sie zu einem margensteigernden, wachstumsfördernden Hebel. Interne Benchmarks zeigen: Bereits eine Verkleinerung des Portfolios um 20 Prozent kann zu einer EBITDA-Steigerung von 5–10 Prozent führen. Hinzu kommt eine Reduktion obsoleter Lagerbestände um bis zu 40 Prozent, eine bessere Lieferperformance und ein geringeres Umlaufvermögen – ein überzeugender Business Case.

 

Was Unternehmen zurückhält: Vier systemische Ursachen

Trotz dieser Vorteile handeln viele Unternehmen nur zögerlich. Die Gründe liegen oft tiefer begründet als rein in operativer Trägheit – sie sind in der Denkweise über Wachstum, Risiko und Kundenwert verankert. Vier Ursachen sind besonders verbreitet:

  • Fehlende Transparenz bei der Profitabilität

Viele Unternehmen verfügen nicht über eine Artikelnummer-genaue Margentransparenz. Während der Umsatz pro Produkt meist erfasst wird, bleiben die tatsächlichen Gesamtkosten – über die Lieferkette, den Service und die Administration hinweg – oft unberücksichtigt. Ohne diese Einsicht bleiben leistungsschwache Produkte unerkannt.

  • Lücken im Lebenszyklusmanagement

Vermehrte Produkteinführungen als Reaktion auf spezifische Kundenbedürfnisse stellen einen weiteren Aspekt dar. Doch nur wenige Unternehmen wenden die gleiche Konsequenz auf das Ausscheiden veralteter oder leistungsschwacher Produkte an. Das Ergebnis: ein alterndes Portfolio mit hohem Pflegeaufwand und geringer strategischer Kohärenz.

  • Fehlanreize bei der Individualisierung

Vertriebsteams werden oft dafür belohnt, Abschlüsse zu erzielen – selbst wenn dies kundenspezifische Entwicklungen auslöst, die hohe interne Kosten verursachen und langfristig wenig nutzen. Dies führt über die Zeit zu einer Fragmentierung des Angebots, die wenigen nützt und viele belastet.

  • Schwache Reaktion auf Marktveränderungen

In dynamischen Märkten müssen Portfolios sich weiterentwickeln. Doch viele Unternehmen tun sich schwer mit schnellen Anpassungen – aufgrund verkrusteter Strukturen, unklarer Entscheidungsbefugnisse und mangelnder bereichsübergreifender Abstimmung. Altprodukte bleiben bestehen, während neue, relevantere Lösungen unterrepräsentiert sind.

 

Barrieren überwinden: Von Erkenntnis zu Umsetzung

Selbst mit klarer wirtschaftlicher Logik scheitern Optimierungsinitiativen allzu häufig. Dabei liegt dies nicht an der Strategie, sondern an organisatorischen Hürden. Abhängigkeiten zwischen Produkten – ob im Vertrieb, in der Lieferkette oder im Einkauf – lassen rationale Kürzungen riskant erscheinen. Auch interner Widerstand spielt eine Rolle: Teams, die an den Status quo gewöhnt sind, fürchten Veränderungen – besonders wenn ihre Anreize an veraltete KPIs geknüpft sind. Zudem fehlt es oft an der Marktkenntnis, um Kundenpräferenzen im Wandel zu erkennen – insbesondere in Nischen, wo Intuition oft mehr zählt als reine Datengrundlagen. Um wirklich voranzukommen, müssen Unternehmen die bereichsübergreifende Abstimmung fördern, in transparente Analytik investieren und eine Kultur etablieren, die offen für Veränderungen ist. Nur so gewinnen Initiativen zur Straffung des Portfolios die nötige Dynamik.

 

Von der Erkenntnis zur Entscheidung: Ein bewährter Dreiklang

Effektive Portfolio-Straffung folgt einer strukturierten Methodik, die finanzielle Logik mit strategischer Zielsetzung verbindet. Porsche Consulting setzt hier auf ein dreiphasiges Modell:

Filter-Matrix: Profitabilität in Relation zu Umsatzanteil

Filter-Matrix: Profitabilität in Relation zu Umsatzanteil

Filter-Matrix: Profitabilität in Relation zu Umsatzanteil
Filter-Matrix: Profitabilität in Relation zu Umsatzanteil
  1. Filtern

Zunächst werden auf Basis interner Daten Produkte mit geringer Marge und niedrigem Umsatz identifiziert. Eine einfache Matrix, die den Deckungsbeitrag in Relation zum Umsatzanteil abbildet, identifiziert problematische Kandidaten im unteren linken Quadranten ab.

  1. Analysieren

Für die entsprechend gefilterten Produkte erfolgt eine Tiefenanalyse. Weitere Faktoren wie Marktwachstum, Kundenrelevanz, technische Abhängigkeiten und Investitionsbedarf werden berücksichtigt. KI-Tools unterstützen durch die Identifikation von Produktüberschneidungen und die Visualisierung von Komplexität unter Anwendung von Gravitationsmodellen oder Heatmaps.

  1. Entscheiden

Basierend auf der multidimensionalen Bewertung werden Produkte in Aktionskategorien eingeteilt:

  • Cut – Zügig ausphasen, um weitere Verluste zu vermeiden.
  • Push – Performance durch Preisgestaltung, Promotion oder Repositionierung stärken.
  • Maintain – Beibehalten aufgrund strategischer Relevanz oder Abhängigkeiten.

Dieser Ansatz stellt sicher, dass Entscheidungen nicht nur kostengetrieben sind, sondern das Portfolio langfristig stärken und seine Wettbewerbsfähigkeit fördern.

 

Modularität: Strategischer Hebel für Variantenmanagement

Eine der effektivsten Methoden, Komplexität zu begrenzen und gleichzeitig Kundenwahlmöglichkeiten zu erhalten, ist Modularität. Anstatt jede Produktvariante neu zu entwickeln, setzen Unternehmen auf standardisierte, austauschbare Module, die flexibel konfiguriert werden können.

Die Vorteile sind vielfältig: Standardteile senken Kosten durch reduzierte Beschaffungs- und Produktionskomplexität. Sie ermöglichen schnellere Lieferzeiten, da vordefinierte Module die Durchlaufzeit verkürzen. Die Skalierbarkeit steigt, da weniger Neuentwicklungen nötig sind. Auch die Wartungsfreundlichkeit verbessert sich – durch gemeinsame Komponenten, die Service und Ersatzteilmanagement vereinfachen.

Eine modulare Architektur fördert zudem die bereichsübergreifende Zusammenarbeit. Entwicklung, Einkauf und Vertrieb arbeiten mit einem gemeinsamen Baukasten. Das steigert nicht nur die interne Effizienz, sondern auch die Konsistenz und Zuverlässigkeit in der Kundenbelieferung.

 

Beispiele für den Erfolg

In aktuellen Transformationsprojekten erzielten Unternehmen, die strukturiert ihr Portfolio optimiert haben, innerhalb weniger Monate messbare Ergebnisse:

  • Portfolio-Reduktion: Bis zu 20 Prozent der Artikelnummern entfernt, ohne Auswirkungen auf den Kunden.
  • Profitabilitätssteigerung: EBITDA-Verbesserung um 5–10 Prozent, selbst in gesättigten Märkten.
  • Bestandsoptimierung: Reduktion veralteter Lagerbestände um 30–40 Prozent.
  • Innovationsfokus: Produkt-Vitalitätsindex (Anteil neuer Produkte am Umsatz) um rund 30 Prozent gesteigert.

Diese Erfolge beruhen nicht nur auf besseren Produktökonomien, sondern auf gesteigerter organisatorischer Fokussierung. Indem einer Zerfaserung des Portfolios entgegengewirkt wird, können Entscheider sich auf Kernprodukte konzentrieren, Innovationen schneller skalieren und die Organisation klarer auf den Kundennutzen ausrichten.

 

Organisatorische Voraussetzungen nachhaltig verankern

Straffung darf nicht als einmalige Initiative verstanden werden – sie muss sich zu einer zentralen Managementdisziplin entwickeln. Dafür braucht es starke Unterstützung aus der Unternehmensspitze, damit Portfolioentscheidungen auf höchster Ebene getroffen werden – und nicht in isolierten Produktsilos. Anreizsysteme müssen angepasst werden: KPIs in Vertrieb und Produktmanagement sollten Profitabilität widerspiegeln, nicht nur Volumen. Daten-Transparenz ist essenziell – unterstützt durch Echtzeit-Dashboards und Analyse-Tools zur kontinuierlichen Fortschrittskontrolle. Schließlich sind Governance-Routinen wie regelmäßige Portfolio-Reviews und Lebenszyklus-Checkpoints entscheidend, um den Straffungsprozess zu institutionalisieren.

 

Kernbotschaften

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Typischerweise generieren nur rund 80 Prozent der Produkte 20 Prozent des Umsatzes – und noch weniger Gewinn. Eine Straffung des Angebots hebt versteckte Potenziale.
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Bereits eine Verkleinerung des Portfolios um 20 Prozent kann EBITDA um bis zu 10 Prozent steigern und die Komplexität im Unternehmen deutlich reduzieren.
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Modulare Architekturen bieten das Beste aus beiden Welten: maßgeschneiderte Lösungen mit skalierbarer Effizienz.

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Dirk Pfitzer, Senior Partner Baubranche, Energiewirtschaft, Industriegüter
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