In den industriellen Zentren Europas – und insbesondere in Deutschland – war die Fähigkeit, Produkte auf die spezifischen und oft sehr unterschiedlichen Anforderungen der Kunden zuzuschneiden, lange ein zentraler Erfolgsfaktor. Im Laufe der Zeit wurde dieses Bekenntnis zur Individualisierung zum Standard in der Produktentwicklung: Jede Kundenanfrage, so klein sie auch sein mag, findet ihren Weg ins Portfolio. Neue Varianten werden hinzugefügt, aber nur wenige wieder entfernt. Das Ergebnis? Ein ausuferndes, überladenes Portfolio.
Dieses pfadabhängige Wachstum führt häufig zu Portfolios mit Hunderten – wenn nicht Tausenden – von Artikelnummern, die nur wenig Mehrwert schaffen. Viele davon werden in geringen Stückzahlen produziert, erzielen minimale Margen und erfordern einen unverhältnismäßig hohen internen Aufwand. Da sie über mehrere Abteilungen und Systeme hinweg existieren, bleiben ihre tatsächlichen Kosten und Auswirkungen oft verborgen. Erst durch eine systematische Überprüfung wird das Ausmaß des Problems deutlich.
Im heutigen Geschäftsumfeld – geprägt durch globalen Wettbewerb, steigende Inputkosten und den Wandel hin zu agilen, kundenzentrierten Organisationen – ist diese unkontrollierte Komplexität nicht länger tragbar. Sie stellt vielmehr ein strategisches Risiko dar. Unternehmen, die sich dieses Problems nicht annehmen, laufen Gefahr, nicht nur bei den Kosten, sondern auch bei Innovationsgeschwindigkeit, Marktanpassungsfähigkeit und Kundenzufriedenheit abgehängt zu werden.
Wenn Vielfalt zur Last wird: viele Artikel, geringe Rendite
Die Ökonomie eines überladenen Produktportfolios folgt einem bekannten, aber oft ignorierten Muster: der 80/20-Regel. Hiernach generieren rund 80 Prozent der Produkte nur 20 Prozent des Umsatzes – und tragen noch weniger zum Gewinn bei. Diese schwachen Artikel verstecken sich im sogenannten „Long Tail“ des Portfolios. Ihr individueller Einfluss mag gering erscheinen, doch in Summe stellen sie eine erhebliche Belastung für Marge, Fokus und operative Kapazitäten dar.
Hinter jedem Produkt verbirgt sich eine Kosteninfrastruktur: von der Beschaffung spezieller Materialien und der Konfiguration von Produktionslinien über Dokumentationsvorgänge, die Schulung von Mitarbeitenden, das Logistikmanagement bis hin zur Integration in IT-Systeme – jeder Artikel hinterlässt einen Fußabdruck. Multipliziert man dies mit Hunderten von Produkten, wächst die versteckte Kostenbasis beträchtlich.
Die Straffung dieses „Long Tails“ ist nicht nur eine Maßnahme zur Kostensenkung. Richtig umgesetzt wird sie zu einem margensteigernden, wachstumsfördernden Hebel. Interne Benchmarks zeigen: Bereits eine Verkleinerung des Portfolios um 20 Prozent kann zu einer EBITDA-Steigerung von 5–10 Prozent führen. Hinzu kommt eine Reduktion obsoleter Lagerbestände um bis zu 40 Prozent, eine bessere Lieferperformance und ein geringeres Umlaufvermögen – ein überzeugender Business Case.
Was Unternehmen zurückhält: Vier systemische Ursachen
Trotz dieser Vorteile handeln viele Unternehmen nur zögerlich. Die Gründe liegen oft tiefer begründet als rein in operativer Trägheit – sie sind in der Denkweise über Wachstum, Risiko und Kundenwert verankert. Vier Ursachen sind besonders verbreitet:
- Fehlende Transparenz bei der Profitabilität
Viele Unternehmen verfügen nicht über eine Artikelnummer-genaue Margentransparenz. Während der Umsatz pro Produkt meist erfasst wird, bleiben die tatsächlichen Gesamtkosten – über die Lieferkette, den Service und die Administration hinweg – oft unberücksichtigt. Ohne diese Einsicht bleiben leistungsschwache Produkte unerkannt.
- Lücken im Lebenszyklusmanagement
Vermehrte Produkteinführungen als Reaktion auf spezifische Kundenbedürfnisse stellen einen weiteren Aspekt dar. Doch nur wenige Unternehmen wenden die gleiche Konsequenz auf das Ausscheiden veralteter oder leistungsschwacher Produkte an. Das Ergebnis: ein alterndes Portfolio mit hohem Pflegeaufwand und geringer strategischer Kohärenz.
- Fehlanreize bei der Individualisierung
Vertriebsteams werden oft dafür belohnt, Abschlüsse zu erzielen – selbst wenn dies kundenspezifische Entwicklungen auslöst, die hohe interne Kosten verursachen und langfristig wenig nutzen. Dies führt über die Zeit zu einer Fragmentierung des Angebots, die wenigen nützt und viele belastet.
- Schwache Reaktion auf Marktveränderungen
In dynamischen Märkten müssen Portfolios sich weiterentwickeln. Doch viele Unternehmen tun sich schwer mit schnellen Anpassungen – aufgrund verkrusteter Strukturen, unklarer Entscheidungsbefugnisse und mangelnder bereichsübergreifender Abstimmung. Altprodukte bleiben bestehen, während neue, relevantere Lösungen unterrepräsentiert sind.
Barrieren überwinden: Von Erkenntnis zu Umsetzung
Selbst mit klarer wirtschaftlicher Logik scheitern Optimierungsinitiativen allzu häufig. Dabei liegt dies nicht an der Strategie, sondern an organisatorischen Hürden. Abhängigkeiten zwischen Produkten – ob im Vertrieb, in der Lieferkette oder im Einkauf – lassen rationale Kürzungen riskant erscheinen. Auch interner Widerstand spielt eine Rolle: Teams, die an den Status quo gewöhnt sind, fürchten Veränderungen – besonders wenn ihre Anreize an veraltete KPIs geknüpft sind. Zudem fehlt es oft an der Marktkenntnis, um Kundenpräferenzen im Wandel zu erkennen – insbesondere in Nischen, wo Intuition oft mehr zählt als reine Datengrundlagen. Um wirklich voranzukommen, müssen Unternehmen die bereichsübergreifende Abstimmung fördern, in transparente Analytik investieren und eine Kultur etablieren, die offen für Veränderungen ist. Nur so gewinnen Initiativen zur Straffung des Portfolios die nötige Dynamik.
Von der Erkenntnis zur Entscheidung: Ein bewährter Dreiklang
Effektive Portfolio-Straffung folgt einer strukturierten Methodik, die finanzielle Logik mit strategischer Zielsetzung verbindet. Porsche Consulting setzt hier auf ein dreiphasiges Modell: