Markenübergreifende Kooperationen
Volkswagen nutzt Synergien auch im After Sales.
08.04.2021 | Porsche Consulting – Das Magazin
Der After Sales zählt für die Automobilbranche zu den wichtigsten Geschäftsfeldern. Der Volkswagen-Konzern zeigt, wie eine zeitgemäße Multi-Marken-Strategie aussieht.
Der Verkauf von Fahrzeugen ist das eine. Automobilhersteller generieren aber einen immer größeren Teil ihres Umsatzes nach Unterzeichnung des Kaufvertrags. Auch wenn er nicht als solches firmiert, kann man den After Sales durchaus als „Unternehmen im Unternehmen“ betrachten: Er verantwortet Reparaturen und den Handel mit Ersatzteilen, er stellt noch Jahre nach dem Kauf sicher, dass die Fahrzeuge der Kunden einsatzbereit bleiben. Dafür besitzt der After Sales unter anderem eine eigene Supply Chain und wirkt bei der Entwicklung der Fahrzeuge mit. Sein Anteil am Gesamtprofit der Industrie ist in den vergangenen Jahren kontinuierlich gestiegen. Mittlerweile zählt der After Sales zu den wichtigsten Wachstums- und Profitabilitätstreibern der Branche. Mit hohen Margen und damit einem großen Beitrag zum Konzernergebnis trägt der Bereich zudem entscheidend dazu bei, die digitale Transformation in der Automobilbranche zu finanzieren.
Dabei verändert der Wandel der Branche, angetrieben durch Digitalisierung und Elektrifizierung auch den After Sales selbst. Fahrerassistenz-Systeme wie Abstandstempomaten sorgen für weniger Unfälle auf der Straße, Autofahrer müssen immer seltener eine Werkstatt aufsuchen. Dafür sind Reparaturen aber aufwendiger und mit steigenden Kosten verbunden, was vor allem preissensible Kunden abschrecken kann. Das wiederum ebnet den Weg für neue Wettbewerber, die den Herstellern mit einer aggressiven Preispolitik oder innovativen Reparaturkonzepten Marktanteile streitig machen. Zudem wird der Markt für Reparaturen langfristig kleiner, etwa durch das entfallende Ölgeschäft bei Elektroautos. Viele Kfz-Hersteller fragen sich nun, wie ihr After Sales in Zukunft wettbewerbsfähig bleibt. Durch Kostensenkungsprogramme könnten sinkende Kundenloyalitäten aufgrund der attraktiven Margen nicht aufgefangen werden.
Markenübergreifende Kooperationen
Auch der Volkswagen-Konzern hat sich intensiv mit der Frage beschäftigt, wie sich der After Sales effizienter gestalten lässt und ein Leitbild für die Zukunft entwickelt, die „Vision 2025“. Der After Sales des Unternehmens hat im Jahr 2018 einen Umsatz von 15,9 Milliarden Euro erzielt. Derzeit sind rund 100 Millionen Fahrzeuge von VW-Marken auf den Straßen unterwegs. Das zeigt, in welchen Dimensionen sich der After Sales für das Unternehmen bewegt – und was für Potential im Markt steckt. Um die Vision erfolgreich in die Praxis zu übersetzen, hat VW gemeinsam mit Porsche Consulting das Projekt STREAM ins Leben gerufen, das sich aus dem englischen Streamlined Accountabilities ableitet, zu Deutsch: gestraffte Verantwortlichkeiten.
Der grundlegende Gedanke des Projekts ist so einfach wie wirkungsvoll: Bei einem Mehr-Marken-Konzern wie Volkswagen ist die Durchschlagskraft am Markt grundsätzlich am größten, wenn alle Marken an einem Strang ziehen. Tatsächlich arbeiten die VW-Konzerntöchter immer wieder eng zusammen – diese Kooperationen sind aber selten institutionalisiert. Im After Sales gab es bei VW vor STREAM weder ein gemeinsames Zielbild noch einheitliche strategische Ansätze und Umsetzungspläne. Stattdessen organisierte jede Marke den Bereich für sich, Kooperationen fanden punktuell zu ausgewählten Themen statt. Signifikante Redundanzen erschwerten die Umsetzung der Maßnahmen in den Märkten. STREAM sollte die Silos nun aufbrechen, klare Verantwortlichkeiten schaffen und „wie ein Katalysator wirken, der unsere Marken in einer Community zusammenbringt“, berichtet Roman Havlásek, Leiter Group After Sales bei Volkswagen.
Synergien und Potentiale nutzen
STREAM hat vier Ziele. Nummer eins: Das Projekt soll die von Konzern und Marken identifizierten Synergien bei Prozessen und Organisation in die Praxis überführen und dafür sorgen, dass Mutterkonzern und Marken davon profitieren. Dafür wird unter anderem das After Sales in Backbone- und Frontend-Prozesse aufgeteilt. Nummer zwei: Volkswagen und seine Marken sollen bestehende Potentiale am Markt stärker nutzen, etwa durch die Entwicklung neuer Technologien. Nummer drei: Der Konzern soll neue Geschäftsfelder erschließen und damit etwa Umsatzeinbrüche bei Elektroautos kompensieren. Nummer vier: Volkswagen und Porsche Consulting haben gemeinsam die Methodik für die Messung der Kundenzufriedenheit und operativen Performance überarbeitet. Das soll die Daten der einzelnen Konzerntöchter vergleichbar machen und zeigen, wo es noch Luft nach oben gibt.
Effizientere Prozesse
Zunächst ging es für Porsche Consulting also darum, Methoden zu entwickeln, um die Aufgaben des After Sales in Backbone- und Frontend-Prozesse aufzuteilen. Backbone-Prozesse sind Abläufe, die der Kunde nicht sieht, wie etwa das Schreiben von Reparaturleitfäden oder die Lieferung von Ersatzteilen. Frontend-Prozesse sind Abläufe mit direktem Kundenkontakt. Darunter fällt etwa die Reparatur in der Werkstatt. Zudem sollte STREAM Redundanzen beseitigen: „Bei den Prozessen lassen sich Kosten sparen, wenn man sie nicht dupliziert, sondern gemeinsam den besten Weg festlegt und diesen über alle Marken anwendet“, sagt Imelda Labbé, Leiterin Group Aftersales Strategy & Compliance bei Volkswagen und Projektleiterin von STREAM.
Es war ein Paradigmenwechsel: Der Konzern verantwortet nun für alle Marken die Backbone-Prozesse und stellt die dazugehörigen Leistungen zentral bereit. Dazu zählt zum Beispiel der Verkauf von Ersatzteilen an freie Werkstätten oder die Art, wie die Marken Preise setzen. Das Projektteam definierte markenübergreifende Standards für das Pricing, außerdem für die Entwicklung von Teile- und Serviceliteratur sowie für die Disposition. Die einzelnen Marken definieren die Ausgestaltung der Pricing Parameter individuell, die Methodik bleibt über alle Marken gleich. „Nach nur neun Monaten konnten wir damit bereits die ersten Quick Wins realisieren“, erklärt Labbé. Die Ausplanung der Parameter weist inzwischen bis zu 50 Prozent Effizienz im Vergleich zum Basisjahr aus.
Bisher nahmen Ersatzteile etwa oft unnötige Umwege. Wenn beispielsweise eine Marke ein Ersatzteillager in Deutschland betrieb und eine Werkstatt dieser Marke in Tschechien ein Ersatzteil brauchte, dann konnte es passieren, dass ein tschechischer Lieferant das Teil zunächst ins Ersatzteillager der Marke nach Deutschland schickte. Von Deutschland aus ließ der After Sales das Teil dann wieder zurück nach Tschechien in die Werkstatt transportieren. Im Rahmen von STREAM wurde mit der Unterstützung von Porsche Consulting eine Lösung entwickelt, bei der die Supply Chain Infrastruktur jeder Marke genutzt werden kann, um Teile nicht mehr durch ganz Europa zu schicken sondern so nah wie möglich am Einsatzort zu verbleiben. Zukünftig werden Ersatzteile der Marke aus dem Beispiel künftig auch bei einer Schwestermarke mit einem Lager in Tschechien gelagert und bei Bedarf direkt an tschechische Werkstätten geliefert. Das spart Zeit und Kosten beim Transport und senkt zugleich den CO2-Ausstoß.
Auch Unternehmensbereiche wie das Unfallschadensmanagement profitieren von der markenübergreifenden Strategie. So sollen Versicherer künftig zum Beispiel Kooperationen mit dem Volkswagen-Konzern als Ganzes vereinbaren können und nicht mehr mit jeder Marke einzeln Verträge aushandeln müssen. Der Mehrwert für das Unternehmen: Die Markenverantwortlichen können sich so ganz auf ihr Kerngeschäft und das Erreichen ihrer Umsatz- und Vertriebsziele konzentrieren. „So haben alle Beteiligten die nötigen Instrumente an der Hand, um das gemeinsame Ziel zu erreichen“, sagt Roman Havlásek, Leiter Group After Sales.
Zentrale Performance-Indikatoren für Vergleichbarkeit
Vor STREAM hatte jede VW-Marke eigene Report-Standards zu wichtigen After-Sales-Kennzahlen im Logistik- und Einkaufsbereich. Neue, markenübergreifende und in der G&V direkt nachvollziehbare KPI´s wie die Logistikkostenquote und der Materialkostenquote wurden im Projekt entwickelt und implementiert. Sie geben an, wie viel Prozent des Umsatzes ein Unternehmen etwa für Transport und Lagerung oder auch den Einkauf von Ersatzteilen ausgibt. Porsche Consulting hat für den Konzern nun eine einheitliche Linie implementiert, wie die Marken künftig zentrale Performance-Indikatoren von der Zentrale bis in die Zielmärkte messen. Das soll die Kennzahlen über alle Konzernmarken hinweg vergleichbar machen.
Zur Erhöhung der Effizienz wurden zudem die Supply Chains optimiert sowie einheitliche Standards für die Garantie- und Kulanzabwicklung entwickelt. Darüber hinaus wurden auch neue Geschäftsfelder identifiziert. Ein Beispiel: Mit den Fahrern von Elektroautos machen viele Werkstätten bisher wenig Gewinn, da die Fahrzeuge weniger bewegliche Teile haben und der Service zum Beispiel kein Öl an sie verkaufen kann. Mit der zunehmenden Verbreitung der Elektromobilität werden somit auch die Einnahmen im After Sales sinken. STREAM soll dem Volkswagen-Konzern künftig helfen, solche Verluste durch neues Geschäft zu kompensieren. Derzeit arbeitet das Team etwa an der Frage, wie sich Hochvoltbatterien wiederverwenden oder recyceln lassen.
Loyale Kunden sind eine wichtige Währung
Nicht zuletzt hat sich das Projektteam mit der Messung der Kundenloyalität beschäftigt. Bisher verfolgte bei Volkswagen jede Marke eine eigene Strategie, um herauszufinden, wie loyal Käufer sind und welche Kontakte im Handel stattfinden. Es war kaum möglich, aus den vielen unterschiedlichen Daten ein konsistentes Bild abzuleiten. Das STREAM-Projektteam entwickelte deshalb auch für diesen Kernbereich eine markenübergreifende Strategie. Ergebnis: Es gibt nun gemeinsame Mess- und Reporting-Standards und einheitliche Performanceziele. Die Steigerung der Loyalität der Fahrzeugbesitzer in den verschiedenen Alterssegmenten ist der zentrale Stellhebel zur Umsatzsteigerung im After Sales.
Das ist nicht nur wichtig für die Reputation der Marke. Zufriedene Kunden sind auch ein direkter Umsatztreiber. Als treue Fans empfehlen sie das Unternehmen weiter, gewinnen so neue Kunden, die ebenfalls zu Markenbotschaftern werden können. Und sie bleiben dem Unternehmen auch nach Abschluss des Kaufvertrags gewogen und vertrauen häufiger auf die Vertragswerkstatt als auf die günstige Konkurrenz. Die Wirkung ist gewaltig: „Durch jeden Prozentpunkt Loyalitätssteigerung“, sagt David Blecher, verantwortlicher Partner bei Porsche Consulting für den Bereich Service, „lassen sich hunderte Millionen Euro zusätzlicher Umsatz realisieren“.