Der Moment der Wahrheit

Zweite Chance für gebrauchte Batterien
Xiaohan Wu | Steffen Wirth | Klaus Kirr
Juli 2025 | Impuls | Deutsch | 10 Min.
Leitfragen
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Warum sollten Unternehmen den Sekundärmarkt für Batterien als Chance verstehen?
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Welche Kriterien sind beim „Moment der Wahrheit“ entscheidend für die Bewertung von Batterien?
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Wie können Automobilhersteller, Recycler oder Zulieferer am Batterie-Sekundärmarkt teilhaben?

Die globale Wende hin zur Elektromobilität ist nicht mehr aufzuhalten. Prognosen zufolge werden bis 2035 weltweit rund 70 Millionen Pkw und Nutzfahrzeuge mit Elektroantrieb produziert.1; 2 Die Transformation umfasst nicht nur technologische Innovationen und den Aufbau lokaler Wertschöpfungsketten, sondern auch die Industrialisierung sogenannter Gigafabriken. Mit dem rasanten Ausbau stellt sich jedoch eine weitere, oft unterschätzte Herausforderung: der Umgang mit riesigen Mengen an Altbatterien und Produktionsausschuss. Eine funktionierende Kreislaufwirtschaft für Batterien wird daher ein zentraler Bestandteil jeder erfolgreichen Batterie-Strategie sein.

Bis 2035 wird das kumulierte Rücklaufvolumen gebrauchter Batterien voraussichtlich etwa 50 Millionen Tonnen erreichen – ein dramatischer Anstieg gegenüber den aktuell rund zwei Millionen Tonnen.3 Umgerechnet entspricht das rund zwei Millionen Schiffscontainern, die aneinandergereiht halb um den Globus reichen würden. Diese schiere Menge wirft die zentrale Frage auf: Was soll mit all diesen zurückgeführten Batterien und Produktionsresten geschehen?

 

Mehr als nur Recycling

Die naheliegende Antwort lautet oft: Recycling. Tatsächlich ist professionelles Batterierecycling ein effizienter Weg, um wertvolle Rohstoffe zurückzugewinnen und sie erneut in der Batterieproduktion einzusetzen. Das Recycling von Batterien kann den CO₂-Ausstoß gegenüber dem Rohstoffabbau um bis zu 30 Prozent senken, die Abhängigkeit von Primärrohstoffen verringern und durch lokale Kreislaufsysteme die geopolitische Resilienz stärken.4 Aus diesen Gründen wird Recycling auch regulatorisch gefördert – etwa durch den verpflichtenden Rezyklatanteil in der EU-Batterieverordnung.5

Doch ein genauerer Blick auf die Technologieentwicklung zeigt auch eine Schattenseite: Recycling bedeutet häufig das Ende der Batterie – auch wenn sie noch weiterverwendbar wäre. Beim typischen Recyclingprozess werden zunächst Altbatterien gesammelt, überprüft und sortiert. Anschließend werden sie mechanisch zerlegt, um sogenannte „schwarze Masse“ zu gewinnen, aus der wertvolle Metalle wie Lithium, Kobalt und Nickel extrahiert werden.

Mit dem technologischen Fortschritt steigen jedoch auch die Lebensdauern der Batterien. In günstigen Fahrzeugsegmenten mit moderaten Nutzerprofilen – vor allem bei preiswerten LFP-Batterien (Lithium-Eisenphosphat) – können Batterien eine Lebensdauer von über 25 Jahren erreichen. Sie sind damit ideal geeignet für eine Weiterverwendung nach dem ersten Fahrzeugeinsatz. In leistungsstarken Segmenten hingegen, in denen NMC-Zellen mit Siliziumanoden zum Einsatz kommen, kann es durch hohe Ladeleistung und häufiges Schnellladen zu einem früheren Austauschbedarf kommen – entweder durch neue oder generalüberholte Batterien.

Lebenszeit Auto versus Lebenszeit Batterie Porsche Consulting Impuls Batterie-Sekundärmarkt
Nicht jede Batterie muss recycelt werden – viele überdauern das Fahrzeug und bieten Potenzial für Reparatur, Wiederaufbereitung oder Zweitnutzung.
Lebenszeit Auto versus Lebenszeit Batterie Porsche Consulting Impuls Batterie-Sekundärmarkt
Nicht jede Batterie muss recycelt werden – viele überdauern das Fahrzeug und bieten Potenzial für Reparatur, Wiederaufbereitung oder Zweitnutzung.

Ein ganzheitlicher Umgang mit Altbatterien umfasst daher mehr als nur Recycling. Drei zusätzliche Strategien, die sogenannten „3R“ bieten neue Nutzungsmöglichkeiten:

  1. Reparatur: Austausch defekter Komponenten wie Steuergeräte, Elektronik oder Verkabelung, damit die Batterie weiterhin im ursprünglichen Fahrzeug verwendet werden kann.
  2. Refurbish: Wiederaufbereitung gebrauchter Batterien für die weitere Nutzung im Automobilbereich – nicht zwangsläufig im selben Fahrzeug. Dies ermöglicht nachhaltige und kosteneffiziente Servicekonzepte nach dem Fahrzeugverkauf und stabilisiert die Restwerte.
  3. Repurpose: Zweitnutzung von Batterien, die den Anforderungen für den Fahrzeugeinsatz nicht mehr genügen, aber für andere Anwendungen – zum Beispiel stationäre Speicherlösungen oder leichte E-Fahrzeuge – weiterhin nutzbar sind.

 

Unterschätztes Potenzial für Neueinsteiger

Der Batterie-Sekundärmarkt entwickelt sich zu einem Milliardenmarkt mit einem geschätzten Gesamtvolumen von rund 25 Milliarden Euro bis 2035.6 Allein das Recycling von Produktionsabfällen und Altbatterien wird dabei etwa 15 Milliarden Euro ausmachen. Der Einstieg in diesen Bereich ist für neue Teilnehmer jedoch schwierig – insbesondere aufgrund der starken Konkurrenz etablierter Chemieunternehmen und technologischer Start-ups.

Im Vergleich dazu bieten die Bereiche Aufarbeitung und Umnutzung attraktivere Einstiegsmöglichkeiten. Hier sind bislang überwiegend Start-ups und kleinere Erstausrüster (OEMs) aktiv. Die erforderlichen Prozesse sind primär mechanischer und elektrischer Natur – und damit nah an den Kompetenzen traditioneller Automobilunternehmen. Das kombinierte Marktpotenzial für Aufarbeitung und Umnutzung liegt bei rund 9 Milliarden Euro, davon etwa 4 Milliarden im Bereich der Aufarbeitung und 5 Milliarden bei Umnutzung. Die Wettbewerbssituation ist bislang überschaubar – insbesondere im Segment der Aufbereitung, das weitgehend von OEMs dominiert wird. Ein unabhängiger Sekundärmarkt ist hier noch nicht etabliert. Zu berücksichtigen sind jedoch regulatorische Vorgaben wie der „Batteriepass“ in Europa oder der „Batteriecode“ in China. Die Zweitnutzung hingegen wird stark von Start-ups mit kleinskaligen Lösungen vorangetrieben. Industrielle Lösungen stecken noch in der Entwicklung. Herausforderungen bestehen unter anderem im Umgang mit schwankender Batteriequalität, Alterungsverhalten sowie in der klaren Zuweisung von Haftung bei Schäden. 

Der Anteil an Reparaturen hingegen ist mit einem erwarteten Marktvolumen von rund einer Milliarde Euro eher klein.7 Bedingt durch lange Batteriegarantien (8–10 Jahre) ist dieses Feld fest in der Hand der OEMs. Für freie Anbieter wird der Markt erst nach Ablauf der Garantiezeit zugänglich – und damit auf etwa zehn Prozent des gesamten Reparaturpotenzials begrenzt.8

 

Der Zustand entscheidet

Nur ein Teil der Batterien kehrt nach Fahrzeugende tatsächlich in die OEM-Systeme zurück – der Großteil landet im freien Markt oder auf Schrottplätzen. Umso wichtiger ist es, Rückläufe aktiv zu steuern und sich Zugang zu wertvollen Ressourcen zu sichern. Für einen erfolgreichen Markteintritt in den Batterie-Sekundärmarkt müssen zudem diverse technische und operative Herausforderungen gemeistert werden – vom Rücknahmemanagement über Diagnostik bis hin zur skalierbaren Umsetzung unter regulatorischen Auflagen. Die Bestimmung des Batteriezustands (State-of-Health, kurz SoH) als entscheidender Input für die techno-ökonomische Bewertung wird von allen Akteuren der Wertschöpfungskette als besonders relevant angesehen. Im sogenannten „Moment der Wahrheit“ – wenn die Diagnose und Sortierung stattfinden – wird über das weitere Schicksal jeder Batterie im Sekundärmarkt entschieden.

Der „Moment der Wahrheit“ – die Zustandsdiagnose entscheidet über das weitere Schicksal der Batterie. Porsche Consulting Impuls Batterie-Sekundärmarkt
Der „Moment der Wahrheit“ – die Zustandsdiagnose entscheidet über das weitere Schicksal der Batterie.
Der „Moment der Wahrheit“ – die Zustandsdiagnose entscheidet über das weitere Schicksal der Batterie. Porsche Consulting Impuls Batterie-Sekundärmarkt
Der „Moment der Wahrheit“ – die Zustandsdiagnose entscheidet über das weitere Schicksal der Batterie.

Ein standardisierter Entscheidungsprozess ist dabei unerlässlich. Neben der technischen Machbarkeit (z. B. durch Bauweise und Verbindungstechnik) spielt auch die wirtschaftliche Tragfähigkeit eine zentrale Rolle. Die Eignung einer Batterie für Reparatur, Wiederaufbereitung oder Zweitnutzung hängt von der Zellchemie (NMC vs. LFP), dem Restwert des Fahrzeugs und dem tatsächlichen Gesundheitszustand der Batterie ab. 

Eine exakte Zustandsbestimmung ist jedoch komplex: Technologievielfalt, aufwendige Messverfahren und fehlende Standards erschweren die Bewertung. Dennoch ist eine präzise Analyse der Restkapazität und Leistungsfähigkeit essenziell, um sinnvolle Entscheidungen im Sinne der Kreislaufwirtschaft treffen zu können. Erfreulich ist: Einige deutsche Start-ups wie Twaice, Volytica und Accure haben diese Herausforderung erkannt und arbeiten gemeinsam mit Institutionen wie dem TÜV Süd an innovativen Diagnosetools. Ab 2027 wird der europäische Batteriepass zusätzliche Transparenz schaffen – mit Angaben zu Chemie, Spezifikationen, Leistungsdaten und Nutzungsverlauf.

Die Hürden zum Erfolg im Batterie-Sekundärmarkt. Porsche Consulting Impuls
Die wichtigsten Herausforderungen für einen erfolgreichen Einstieg in den Sekundärmarkt für Batterien.
Die Hürden zum Erfolg im Batterie-Sekundärmarkt. Porsche Consulting Impuls
Die wichtigsten Herausforderungen für einen erfolgreichen Einstieg in den Sekundärmarkt für Batterien.

Zusammenarbeit beschleunigt den Batteriekreislauf

Unterschiedliche Akteure entlang der Wertschöpfungskette verfolgen jeweils eigene Interessen und bringen spezifische Kompetenzen mit – das macht sie zu wertvollen Partnern für ein integriertes Sekundärmarkt-Ökosystem: OEMs konzentrieren sich auf die effiziente und kostengünstige Rücknahme von Hochvoltbatterien, die Bereitstellung generalüberholter und neuer Ersatzteile zu attraktiven Preisen, die Sicherung des Fahrzeugrestwerts sowie die Erfüllung von Rezyklatvorgaben. Durch die Standardisierung von Produktplattformen, reparaturfreundliches Design und neue Geschäftsmodelle zur Batterierücknahme nehmen OEMs maßgeblichen Einfluss auf Entscheidungen im Batterie-Sekundärmarkt.

Recycler streben eine hohe Auslastung ihrer Anlagen und möglichst hohe Erlöse für wiedergewonnene Materialien an. Sie bringen chemisches Fachwissen für den Recyclingprozess ein und könnten – bei funktionierender Rückführlogistik für gefährliche Abfälle – auf große Mengen an Altbatterien aus Unfällen oder ausgedienten Fahrzeugen zugreifen. Zulieferer – etwa Zellhersteller – suchen nach Batterien für Wiederaufbereitung und Sekundärrohstoffen, die den Anforderungen der Automobilhersteller entsprechen. Ihr Wissen in Diagnostik, Demontage und Remontage ist entscheidend. Klassische Komponentenlieferanten wollen ihren Beitrag in der Wertschöpfung sichern, passen Geschäftsmodelle an und nutzen ihre Vertriebskanäle, um Akteure des Sekundärmarkts zu vernetzen. Eine erfolgreiche Marktteilnahme erfordert daher frühzeitige, strategische Partnerschaften mit Spezialisten – entlang einer gemeinsamen, integrativen Wertschöpfung.

Kernaussagen
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Der globale Sekundärmarkt für Batterien wird bis 2035 auf ein Volumen von 25 Milliarden Euro wachsen – mehr als 40 Prozent davon werden über Wiederverwendungsstrategien jenseits des Recyclings erschließbar sein.
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Die präzise Beurteilung des Batteriezustands ist der entscheidende Moment, der über Reparatur, Wiederaufbereitung oder Zweitnutzung entscheidet.
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Eine enge Zusammenarbeit entlang der gesamten Wertschöpfungskette ist unerlässlich, um effektive Kreislaufmodelle für Batterien umzusetzen.

Appendix

Sources

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Einblicke

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