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Klimatechnologien schließen die Dekarbonisierungslücke
Dr. Tim Dereymaeker | Dr. Lukas Mauler | Antonia Rodewig
Aug. 2025 | Impuls | Deutsch | 11 Min.
Leitfragen
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Sind die Net-Zero-Ambitionen von Unternehmen nur mithilfe von Klimatechnologien erreichbar?
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Für welche Industrien eignen sich Klimatechnologien und wie wirksam sind diese?
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Welche Investitionen sollten Unternehmen in den nächsten 5 bis 10 Jahren für Klimatechnologien vorhalten?

Die Einhaltung des 1,5°C-Ziels ist nicht nur ein globales Klimaversprechen – sie wird zunehmend zum Maßstab unternehmerischer Verantwortung und Wettbewerbsfähigkeit. Doch die Realität ist ernüchternd: Aktuelle Emissionstrends steuern auf eine Erwärmung von über 2°C zu. Laut Weltklimarat IPCC verbleiben uns lediglich rund 250 Gigatonnen CO₂, um das 1,5°C-Ziel mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 Prozent zu erreichen. Die Zeit für rein symbolische Klimastrategien ist längst vorbei.

In der Theorie klingt Net Zero einfach: Emissionen vermeiden, reduzieren, den Rest kompensieren. In der Realität aber stoßen Unternehmen zunehmend an die Grenzen klassischer Dekarbonisierungsmaßnahmen – insbesondere bei Scope-3-Emissionen, etwa aus der Nutzung oder Entsorgung von Produkten oder in emissionsintensiven Industrien. Genau hier setzen Klimatechnologien an: Sie sind nicht optional, sondern ein unverzichtbarer Bestandteil jeder zukunftsfähigen Klimastrategie.2 Die Science Based Targets initiative (SBTi) unterstreicht diesen Paradigmenwechsel: In der neuen Net-Zero-Standard-Version 2.0 werden CO₂-Entnahmetechnologien (Carbon Dioxide Removal, CDR) nicht mehr nur als „letzter Schritt“, sondern als integraler Bestandteil strategischer Klimapfade anerkannt – mit klaren, kurzfristigen Zielvorgaben. 

Für Unternehmen bedeutet das: Ohne den Einsatz von Klimatechnologien sind Net-Zero-Ziele nicht erreichbar. Selbst bei maximaler Effizienz und vollständigem Umstieg auf erneuerbare Energien bleiben unvermeidbare Restemissionen – insbesondere in „hard-to-abate“-Sektoren wie Chemie, Pharma, Bauwesen oder Luftfahrt. Diese Lücke schließen Technologien zur CO₂-Entnahme (CDR). Ein häufiger Irrtum: CO₂-Entnahme sei gleichzusetzen mit klassischer Kompensation. Doch nur Technologien, die physisch CO₂ aus der Atmosphäre entfernen, leisten einen dauerhaften Beitrag zum Klimaschutz. „Avoidance“-Zertifikate reichen für Net Zero nicht aus. Wer seine Klimaziele ernst nimmt, muss frühzeitig in echte CO₂-Entnahme investieren.

 

Klimatechnologien zum Ausgleich von Restemissionen

CDR umfasst ein breites Spektrum – von naturbasierten Lösungen wie Aufforstung und Wiederherstellung von Feuchtgebieten über meeresbasierte Verfahren wie Direct Ocean Capture bis hin zu High-Tech-Ansätzen wie Direct Air Capture (DAC), Carbon Capture, Utilization and Storage (CCUS) oder Bioenergie mit CO₂-Abscheidung (BECCS). Für Führungskräfte wie Chief Sustainability Officers (CSOs) und Chief Operations Officers (COOs) bedeutet das: Sie müssen nicht nur die Transformation steuern, sondern ein robustes, technologiegestütztes Dekarbonisierungsportfolio aufbauen.

Die Herausforderungen für Unternehmen dabei sind vielschichtig – hohe Investitionskosten, technologische Unsicherheiten, regulatorische Komplexität. Doch der Markt entwickelt sich rasant: Der europäische DAC-Markt wird bis 2030 voraussichtlich auf über 600 Mio. USD wachsen – bei einer jährlichen Wachstumsrate von über 60 Prozent.3 Gleichzeitig schafft der Net Zero Industry Act (NZIA) der EU klare Rahmenbedingungen: Bis 2030 sollen mindestens 40 Prozent des europäischen Bedarfs an strategischen Klimatechnologien aus eigener Produktion gedeckt werden – darunter DAC, grüner Wasserstoff, Energiespeicher sowie Solar- und Windtechnologie.4 

Studien wie der IPCC AR6 Report5 und die IEA Net Zero Roadmap zeigen: Ohne eine jährliche CO₂-Entnahme von circa 10 Gigatonnen bis 2050 sind die 1,5°C- und selbst die 2,0°C-Ziele nicht erreichbar.6; 7; 8 Aktuell liegt die globale CDR-Kapazität bei nur rund 2 Milliarden Tonnen – davon gerade einmal 0,1 Prozent durch technologische Verfahren. Die Skalierung ist also nicht nur notwendig, sondern überfällig.9; 10

Nicht alle Kohlendioxid-Emissionen können vermieden oder reduziert werden. Um bis 2050 Net Zero zu erreichen, müssen jährlich mindestens 10 Gigatonnen CO₂ aus der Atmosphäre entfernt werden

Nicht alle Kohlendioxid-Emissionen können vermieden oder reduziert werden. Um bis 2050 Net Zero zu erreichen, müssen jährlich mindestens 10 Gigatonnen CO₂ aus der Atmosphäre entfernt werden.

Nicht alle Kohlendioxid-Emissionen können vermieden oder reduziert werden. Um bis 2050 Net Zero zu erreichen, müssen jährlich mindestens 10 Gigatonnen CO₂ aus der Atmosphäre entfernt werden
Nicht alle Kohlendioxid-Emissionen können vermieden oder reduziert werden. Um bis 2050 Net Zero zu erreichen, müssen jährlich mindestens 10 Gigatonnen CO₂ aus der Atmosphäre entfernt werden.

Klimatechnologien: Branchenfit entscheidet über Wirkung und Wirtschaftlichkeit

Nicht jede Technologie passt zu jedem Geschäftsmodell – und nicht jede Branche profitiert gleichermaßen. Der Einsatz von Klimatechnologien muss deshalb differenziert und strategisch erfolgen. Besonders die sogenannten „hard-to-abate“-Sektoren – etwa die Bauindustrie (insbesondere Stahl und Zementherstellung), die chemische und pharmazeutische Industrie sowie die Luftfahrt – können von technologischen Lösungen zur CO₂-Entnahme profitieren. Diese Industrien zeichnen sich durch energieintensive Prozesse und prozessbedingte Emissionen aus – etwa bei der Herstellung von Grundchemikalien, der Nutzung fossiler Brennstoffe in Hochöfen oder der Klimatisierung in Reinräumen. 

Die Luftfahrtbranche etwa setzt bereits auf Sustainable Aviation Fuels (SAF), die als Teil des Climate-Tech-Portfolios gelten. Auch einige weitere Unternehmen haben bereits gehandelt – und sich damit strategische Vorteile gesichert. Microsoft investiert jährlich Millionen in CDR-Technologien und hat sich verpflichtet, bis 2030 „carbon negative“ zu werden.11 Der deutsche Baustoffkonzern Heidelberg Materials errichtet in Norwegen die erste großindustrielle Zementanlage mit CO₂-Abscheidung und -Speicherung (CCS).12 Die britische Drax Group setzt auf BECCS, um bis 2030 eine „carbon negative company“ zu werden.13; 14 Als „First Mover“ sichern Unternehmen sich Vorteile: Wer früh investiert, profitiert von technologischer Führungsposition,wirtschaftlicher Resilienz und sichert sich frühzeitigen Zugang zu zukünftigen Märkten.

Führende Unternehmen kombinieren heute verschiedene Maßnahmen: Energieeffizienz, Elektrifizierung, Kreislaufwirtschaft, nachhaltige Lieferketten und zunehmend auch Pilotprojekte mit CDR-Technologien. Doch viele Strategien bleiben vage – oft aus Unsicherheit über technologische Reife, regulatorische Anerkennung oder wirtschaftliche Skalierbarkeit. Eine „One-size-fits-all“-Lösung gibt es nicht. Entscheidend ist, ob eine Technologie zur Dekarbonisierungsstrategie passt, ob sie wirtschaftlich tragfähig ist (€/tCO₂) und ob sie regulatorisch anerkannt wird.

Die erfolgreiche Integration von Klimatechnologien in Unternehmensstrategien erfordert ein systematisches Vorgehen. Ausgangspunkt ist ein präzises Treibhausgas-Inventar auf Unternehmens- oder Produktebene, ergänzt um belastbare Klimaszenarien. Daran anschließend sollte die Ziellücke ermittelt werden. Sie zeigt auf, in welchem Umfang Emissionen mit herkömmlichen Maßnahmen vermieden werden können und in welchem Umfang CDR erforderlich ist. Wichtige Fragen dabei sind:

  • Wirksamkeit  – Welche Technologien bieten das beste Kosten-Nutzen-Verhältnis (z. B. €/tCO₂)?
  • Technologiereife – Welche Lösungen sind bereits skalierbar und marktreif?
  • Investitionsvolumen – Welche finanziellen Mittel sind erforderlich?
  • Regulatorische Machbarkeit – Welche rechtlichen Rahmenbedingungen beeinflussen die Umsetzung

Auf dieser Basis lassen sich fundierte Make-or-Buy-Entscheidungen treffen, um entweder eigene Investitionen in CDR vorzunehmen oder CDR-Kapazitäten von speziellen Anbietern im Markt einzukaufen. Eine möglichst diversifizierte Strategie – naturbasiert und technologisch – kann Risiken minimieren und Ziele absichern.

 

Die richtige Technologie für jede Industrie

Klimatechnologien unterscheiden sich erheblich in Reifegrad, Kostenstruktur und Anwendungsbereich. Während naturbasierte Methoden bereits breit implementiert sind, befinden sich viele technologische Verfahren noch in der Hochlaufphase – mit entsprechend hohen Kosten. Unternehmen beobachten diese Entwicklungen genau, agieren aber oft noch zögerlich. Die folgende Tabelle zeigt, welche Methoden für welche Branchen besonders vielversprechend sind.

Verschiedene Klimatechnologien eignen sich für unterschiedliche Branchen und Anwendungsbereiche

Verschiedene Klimatechnologien eignen sich für unterschiedliche Branchen und Anwendungsbereiche.

Verschiedene Klimatechnologien eignen sich für unterschiedliche Branchen und Anwendungsbereiche
Verschiedene Klimatechnologien eignen sich für unterschiedliche Branchen und Anwendungsbereiche.

Die Tabelle verdeutlicht, dass sich CDR-Methoden je nach Branche sehr unterschiedlich bewerten lassen. Während naturbasierte Lösungen vor allem in Land- und Forstwirtschaft oder bei kurzfristigen Kompensationszielen sinnvoll einsetzbar sind, gewinnen technologische und synthetische Verfahren zunehmend an Bedeutung – insbesondere in schwer zu dekarbonisierenden Bereichen wie der Zement- und Stahlindustrie sowie in der Luft- und Schifffahrt. Für diese Sektoren, in denen Emissionen prozessbedingt schwer vermeidbar sind, werden CO₂-Entnahmelösungen wie Direct Air Capture, BECCS oder eFuels mittelfristig unverzichtbar – auch wenn sie derzeit noch mit hohen Kosten verbunden sind. Mit zunehmender Skalierung und technologischem Fortschritt ist jedoch mit einer deutlichen Kostenreduktion zu rechnen. So liegt die Prognose für Luftfahrttreibstoffe aus nichtfossilen Rohstoffen (Sustainable Aviation Fuels) beispielsweise bei 500-1000 € pro tCO₂ in 2040.

 

Klimatechnologien: Vom Klimaziel zum Wachstumsmarkt

Klimatechnologien sind nicht nur ein Schlüssel zur Erreichung von Net-Zero-Zielen – sie sind ein rasant wachsendes Geschäftsfeld. Der globale Markt wird sich laut Prognosen von rund 25 Mrd. USD im Jahr 2024 auf rund 150 Mrd. USD bis 2032 versechsfachen – mit einer jährlichen Wachstumsrate von fast 25 Prozent. Für Unternehmen eröffnet sich damit ein doppelter Hebel: Klimaschutz und wirtschaftliche Wertschöpfung.15 Die Integration von CO₂-Entnahmetechnologien (CDR) bietet weit mehr als nur Emissionsreduktion. Sie schafft neue unternehmerische Spielräume:

1. Zukunftsinvestitionen und Innovationsvorsprung

Durch strategische Kapitalallokation in CDR-Technologien und Startups sichern sich Unternehmen frühzeitigen Zugang zu Innovationen und erschließen neue Geschäftsfelder mit langfristigem Potenzial.

2. Skalierung durch Kooperation und Ökosysteme

Partnerschaften mit Forschung, Technologieanbietern und Industrie stärken die eigene Position im Markt, beschleunigen die Skalierung und steigern zugleich Sichtbarkeit und Glaubwürdigkeit im Bereich Klimaschutz.

3. Wirtschaftlicher Nutzen durch Kosten- und Risikooptimierung

Eigene CDR-Initiativen helfen, CO₂-Kosten und regulatorische Unsicherheiten zu reduzieren, während sich gleichzeitig neue Erlösquellen etwa durch CO₂-Zertifikate oder stoffliche Nutzung erschließen lassen.

Der weltweite Markt für Klimatechnologien entwickelt sich rasant und wird sich bis 2032 auf 150 Milliarden USD versechsfachen

Der weltweite Markt für Klimatechnologien entwickelt sich rasant und wird sich bis 2032 auf 150 Milliarden USD versechsfachen.

Der weltweite Markt für Klimatechnologien entwickelt sich rasant und wird sich bis 2032 auf 150 Milliarden USD versechsfachen
Der weltweite Markt für Klimatechnologien entwickelt sich rasant und wird sich bis 2032 auf 150 Milliarden USD versechsfachen.

Der Aufbau klimarelevanter Technologien erfordert allerdings signifikante Investitionen. Je nach Technologie und Anwendung liegen die Kosten pro vermiedener Tonne CO₂ im industriellen Maßstab zwischen etwa 100 und 1.000 €. In frühen Projektphasen sind die Kosten typischerweise höher – allerdings greifen Skaleneffekte stark. Eine umfangreiche Business-Case-Analyse von Porsche Consulting zeigt etwa, dass sich Investitionen in eigene DAC-Anlagen (Direct Air Capture) bei entsprechender Skalierung wirtschaftlich darstellen lassen. In einer ersten Ausbaustufe ist beispielsweise eine Kapazität von etwa 4.000 bis 6.000 Tonnen CO₂ pro Jahr vorgesehen – verbunden mit Investitionen von über 25 Mio. €. In den darauffolgenden Stufen sollen Kapazitäten von rund 90.000 bis 110.000 tCO₂ p.a. sowie perspektivisch bis zu 1 Mio. tCO₂ p.a. erreicht werden. Der dafür geschätzte Investitionsbedarf liegt bei rund 100 Mio. € bzw. etwa 650 Mio. €.

Die Kosten entfallen im Besonderen auf Research & Development, Hardware, Distribution und Operations. Die Wirtschaftlichkeit ergibt sich dabei nicht mehr nur durch die Vermeidungskosten, sondern insbesondere durch neue Erlösmodelle: Zum einen durch den Handel mit hochwertigen CO₂-Zertifikaten, zum anderen durch Carbon Capture and Utilization (CCU), also die Nutzung des abgeschiedenen CO₂ als Rohstoff, z. B. für synthetische Kraftstoffe oder Werkstoffe. Technologien wie DAC könnten somit nicht nur zur Erreichung unternehmenseigener Klimaziele beitragen, sondern mittelfristig auch externen Partnern zur Verfügung gestellt und als eigenständige Geschäftsfelder etabliert werden.

Die EU unterstützt Investitionen in Klimatechnologien gezielt über das Netto-Null-Industriegesetz (NZIA). Unternehmen profitieren von Zuschüssen für CO₂-Abscheidung und -Speicherung (CCUS), Direktförderungen für Wasserstoffprojekte sowie Steuererleichterungen für nachhaltige Produktionsprozesse. Diese Programme reduzieren Investitionsrisiken, beschleunigen Skalierung und stärken die Wettbewerbsfähigkeit europäischer Unternehmen im globalen Climate-Tech-Wettlauf.

Kernaussagen
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Klimatechnologien sind ein strategischer Imperativ für Net Zero, insbesondere in „hard-to-abate“-Sektoren. Unternehmen, die jetzt handeln, sichern sich technologische Führungsposition und wirtschaftliche Resilienz.
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Nicht jede Technologie passt zu jedem Geschäftsmodell. Entscheidend sind CO₂-Vermeidungskosten, Technologiereife und regulatorische Machbarkeit.
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Climate Tech ist ein Wachstumsmarkt mit hohem Renditepotenzial. Frühzeitige Investitionen in CDR schaffen doppelte Wertschöpfung: Klimaschutz und Business Impact.

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Pschemyslaw Pustelniak, Senior Partner Strategie & Organisation Porsche Consulting
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