Asien als Vorreiter, Europa mit Aufholbedarf
Trotz aller Vorteile durch Digitalisierung verläuft die Umsetzung oft langsam – große Teile des europäischen Bahnnetzes arbeiten noch mit konventioneller Technik. Hemmnisse sind unter anderem die hohen Investitionskosten und langen Erneuerungszyklen. Ein Beispiel hierfür: das europaweit einheitliche Zugsicherungssystem European Train Control System (ETCS). Im Jahr 2020 waren erst 14 Prozent des EU-Schienennetzes mit ETCS ausgerüstet; beim aktuellen Tempo werden es bis 2030 nur rund 25 Prozent sein.3
Regional gibt es beeindruckende Entwicklungen im Bereich der Digitalisierung, mit Asien als Vorreiter. Insbesondere China und Japan investieren massiv in die Digitalisierung des Schienenverkehrs. Sie führen moderne Hochgeschwindigkeitszüge mit fortschrittlichen digitalen Steuerungssystemen ein und profitieren gleichzeitig vom historischen Vorteil einer geringeren Komplexität des Schienennetzes. Die China Railway Corporation nutzt Big Data und Künstliche Intelligenz, um den Betrieb weiter zu optimieren. Dies führte zu einem Rückgang kleinerer Störungen, beispielsweise in der Funktionsfähigkeit von Weichen, und zur Reduzierung von Wartezeiten rund um große Bahnhöfe.4 Japan, bekannt für seine Shinkansen-Hochgeschwindigkeitszüge, setzt ebenfalls auf moderne Signal- und Steuerungstechnologien – neben anderen Einflussfaktoren ein wesentlicher Erfolgsfaktor für die weltbekannte Pünktlichkeit japanischer Züge.
In Europa sind Länder wie die Schweiz und Frankreich Vorreiter der Digitalisierung der Schiene. Die Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) verfolgen mit „SmartRail 4.0“ eine umfassende Digitalisierung und Automatisierung des Bahnbetriebs, um Effizienz und Sicherheit zu steigern. Das Projekt optimiert Kapazitätsplanung, Anlagenüberwachung und Fahrzeugsteuerung sowie Reaktionen auf Betriebsstörungen.5 In Frankreich testet die Bahngesellschaft SNCF im Rahmen des Projekts „Train Autonome“ autonome Züge und digitale Stellwerke.6 Skandinavien zeigt ebenfalls Fortschritte. Norwegen plant, bis 2034 sein gesamtes Schienennetz mit dem European Train Control System (ETCS) auszurüsten. Die Deutsche Bahn verfolgt mit dem Programm „Digitale Schiene Deutschland“ eine Initiative, um die Kapazität und Effizienz des Schienennetzes zu steigern.7 In Hamburg wird das erste digitale Schienensystem Deutschlands mit hochautomatisiertem Betrieb umgesetzt. Dieses System ermöglicht eine hohe Pünktlichkeit, maximale Streckenkapazität und bis zu 20 Prozent weniger Energieverbrauch.8; 9
Bequemer reisen: Digitalisierung der Kundenschnittstelle
Ein wichtiger Hebel, um die Fahrgastzahlen im Schienenverkehr zu erhöhen, liegt im Kundenerlebnis. Das beginnt bei der Reiseplanung und Buchung. Passagiere wünschen sich Komfort und Effizienz. Die Digitalisierung der Kundenschnittstelle verbessert genau das. Sie revolutioniert das Fahrgasterlebnis durch proaktive Identifikation der Kundenbedürfnisse: Fahrgäste profitieren von personalisierten Reiseoptionen, die individuelle Präferenzen wie die schnellste, bequemste oder günstigste Verbindung berücksichtigen. Überregionale Apps ermöglichen die kombinierte Buchung unterschiedlicher Verkehrsanbieter und machen integrierte Mobilität zur Realität. Hier gibt es weltweit gute Ansätze, allerdings sind die Lösungen zumeist regional begrenzt und nicht miteinander vernetzt. Überregionale länder- und verkehrsträgerübergreifende Lösungen sind notwendig. Beispiele für solche digitalen Plattformen sind Moovit aus Israel, die weltweit in über 3.400 Städten verfügbar ist, oder Citymapper aus Großbritannien, die Angebote für den Öffentlichen Personennahverkehr, Bahn, Fahrrad und Taxi in 31 europäischen Ländern anbietet.10; 11
In Deutschland erhalten externe Mobilitätsplattformen wie Trainline oder Omio seit 2024 direkten Zugang zu den Live-Daten der Deutschen Bahn. Damit lassen sich verschiedene Verkehrsmittel kombinieren, die beste Route anzeigen und die Verwaltung sowie der Kauf von Tickets vereinfachen. Sie bieten Echtzeitinformationen, übernehmen Buchungen und liefern personalisierte Reiseempfehlungen. Mobilitätsdaten ermöglichen es, Reisepläne situativ anzupassen. Zugverbindungen, Verspätungen und Störungen werden in Echtzeit bereitgestellt. Hier bedarf es integrierter, grenzüberschreitender Lösungen. Bahnbetreiber verfolgen dabei eine Omnichannel-Strategie: Einerseits werden digitale Kanäle ausgebaut, andererseits achtet man darauf, weniger technikaffine Fahrgäste nicht abzuhängen, und bietet weiterhin persönliche Beratung an.
Neue Technologien wie künstliche Intelligenz und digitale Zwillinge sind Basis zur weiteren Verbesserung der Kundenerfahrung. Spezifische Bedürfnisse unterschiedlicher Kundengruppen, wie so genannte Silver-Ager ab 50 Jahren oder Fahrgäste mit eingeschränkter Mobilität, werden durch digitale Plattformen berücksichtigt, die Informationen zu barrierefreien Reiseoptionen bereitstellen und die Buchung von Unterstützungsdiensten im Voraus ermöglichen. Die Analyse von Nutzerdaten ermöglicht personalisierte Werbung und spezielle Angebote, die direkt an die Fahrgäste gesendet werden – beispielsweise Rabatte für häufig genutzte Strecken oder Empfehlungen für touristische Attraktionen.12
Intelligente Steuerungssysteme nutzen Passagierflussdaten, um Kapazitäten optimal zu verteilen und Überfüllungen zu vermeiden. Beispielsweise kann über flexibles Pricing eine Nachfragesteuerung erfolgen, um Kapazitätsspitzen zu minimieren. Auf Basis von Prognosedaten können Ressourcen frühzeitig an Sondersituationen angepasst werden. Blockchain-Technologie erhöht die Sicherheit und Transparenz von Buchungssystemen, indem sie eine nachvollziehbare Abwicklung von Transaktionen ermöglicht und Betrugsrisiken minimiert.12