"Niemand kann es alleine schaffen"

Bosch EVP Fedra Ribeiro fordert eine gemeinsame europäische Automobilindustrie

Bosch EVP Fedra Ribeiro talking on stage
20.06.2025 | Artikel

Fedra Ribeiro ist in Portugal aufgewachsen und hat in Deutschland, Frankreich und der Schweiz gelebt. Als echte Europäerin plädiert sie für mehr Zusammenarbeit statt Konkurrenz innerhalb des Kontinents. Für sie ist das der Weg, um in einer globalisierten, aber zunehmend fragmentierten Automobilwelt wettbewerbsfähig zu bleiben.

Nach verantwortungsvollen Positionen bei verschiedenen Herstellern und Zulieferern treibt sie nun als Executive Vice President bei Bosch die Einführung und Skalierung von Software Defined Vehicles (SDV), Advanced Driver Assistance Systems (ADAS) und den damit verbundenen Rechenschichten voran. Ein Zufall habe sie ihre Karriere in der Automobilindustrie beginnen lassen, aber über 25 Jahre lang zu bleiben, war natürlich eine bewusste Entscheidung. Was sie antreibt, ist die Möglichkeit, den Menschen durch Mobilität Freiheit und Autonomie zu bieten.

 

Frau Ribeiro, Sie arbeiten an einer zentralen Stelle der automobilen Transformation. Welche Auswirkungen haben fortschrittliche Fahrerassistenzsysteme auf die Branche?

ADAS und erweiterte Datenverarbeitung werden die Branche voranbringen, mit Lösungen für mehr Sicherheit und Personalisierung des Fahrens. Ein wichtiger Antrieb für uns ist etwa die Verringerung von Unfällen auf den Straßen. ADAS-Funktionen sorgen aber nicht nur für mehr Sicherheit, sondern auch für mehr Freude am Fahren. Ich zum Beispiel neige dazu, langsam zu fahren, aber jeder ist anders, und jeder Fahrer sollte so fahren können, wie es seinem persönlichen Stil entspricht. All diese Dinge nähren also meinen Wunsch, einen Beitrag zur globalen Automobilindustrie zu leisten, aber natürlich besonders zur europäischen – die wir alle umgestalten müssen, um sicherzustellen, dass sie auch in fünfzig oder hundert Jahren noch existiert.

 

Das klingt nach einem existenziellen Risiko. Wie können wir damit umgehen?

Europa ist führend, wenn es um fortschrittliche Fahrerassistenzsysteme und verbesserte Datenverarbeitung geht – teilweise aufgrund unserer Regulatorik, weil wir wirklich erstklassige Sicherheitssysteme vorweisen müssen, um hiesige Gesetze einzuhalten. Darüber hinaus verfügen wir über umfassendes technisches Know-how und ein ausgereiftes Ökosystem von Zulieferern. Wir sollten uns also nicht unter Wert verkaufen. Die europäische Industrie verfügt über viele Voraussetzungen, die sicherstellen, dass sie auch in Zukunft eine wichtige Rolle spielen wird. Natürlich sind wir einerseits konfrontiert mit den aufstrebenden chinesischen Erstausrüstern (OEMs) und andererseits mit anderen Kundenerwartungen, beispielsweise in den USA. Unseren Vorsprung bei Qualität und Regularien müssen wir ausbalancieren mit mehr Innovation, Agilität, Geschwindigkeit und Pragmatismus.

 

Wie können wir mit der Geschwindigkeit Chinas, auch "China Speed" genannt, mithalten?

Ich bin der Meinung, dass sich die Industrie wirklich mehr auf Partnerschaften als auf den Wettbewerb innerhalb Europas konzentrieren sollte. Wenn jeder das Rad neu erfindet, wird das unsere Nachhaltigkeit als Ganzes nicht fördern. Natürlich ist es für uns wichtig, dass unsere Alleinstellungsmerkmale und unterschiedlichen Vorteile erkennbar bleiben, aber es ist nicht notwendig, Software 25 Mal neu zu entwickeln. Was wir in der europäischen Industrie brauchen, ist ein intensives Gespräch darüber, was uns von anderen unterscheidet und wo wir uns austauschen und zusammenarbeiten können.

 

Glauben Sie, dass es eine Offenheit für solche Partnerschaften gibt?

Ich denke, das ist der Fall. Tatsächlich sehe ich jetzt mehr Offenheit als früher. In den letzten fünf bis acht Jahren hat sich in der Branche die Erkenntnis durchgesetzt, dass Software zum Herzstück der Mobilität wird – mit dem Ergebnis, dass jeder Akteur zu einem Softwareunternehmen werden sollte. Interne Spin-offs, die Milliarden in Software-Entwicklung stecken, sind wie Pilze aus dem Boden geschossen. Ich glaube, mit dem Aufkommen der künstlichen Intelligenz wird offensichtlich, dass niemand es alleine schaffen kann, weil die Kosten und die Geschwindigkeit zu hoch sind. Es ist einfach nicht möglich, dass ein einziges Unternehmen all dies allein bewältigt und trotzdem schnell und wendig genug ist, um den Markt zu bedienen. Daher sehe ich heute mehr Bereitschaft zur Zusammenarbeit als in den letzten 10 Jahren.

Was uns jedoch bremst, sind zum Teil unsere eigenen komplexen Systeme. Unser oft bürokratisches Umfeld ist nicht gerade förderlich für Geschwindigkeit und Wettbewerbsfähigkeit. Daher denke ich, dass wir uns manchmal selbst im Weg stehen, wenn es darum geht, die vielen guten Ideen und großartigen Unternehmer, die wir in Europa haben, zu fördern.

 

Gleichzeitig argumentieren Sie, dass sich die Automobilhersteller stärker differenzieren müssen und dass globale Standards nicht mehr funktionieren. Wie kommt das?

Erstens gibt es ein zunehmendes Auseinanderstreben in der Regulierungslandschaft. Außerdem haben die Nutzer in Asien andere Prioritäten als zum Beispiel in Europa oder Nordamerika. Es findet also eine Regionalisierung der Wirtschaft statt, und wir beobachten eine Entkopplung der globalen Lieferketten. Die Frage ist, wie granular wir als Europäer diese Regionalisierung haben wollen. Wir brauchen doch Größenvorteile, oder? Deshalb sollten wir eine Entkopplung Europas vermeiden und stattdessen als Kontinent auftreten. Wir haben ähnliche Werte, wir sind in der Europäischen Union, wir haben eine Währungsunion – es steht außer Frage, dass das, was uns eint, viel mehr ist als das, was uns trennt. Und als europäische Industrie ist die Idee, dass wir einen Platz am Tisch haben, möglich.

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