CFO-Agenda 2030

Vom Buchhalter zum strategischen Investor
Till Roevenstrunk | Steffen Lars Herberger | Markus Tholl
Okt. 2023 | Impuls | Deutsch | 10 Min.
Leitfragen
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Wie positionieren sich Finanzabteilungen angesichts neuer Anforderungen und Stakeholder?
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Welche Fähigkeiten müssen CFOs in ihrem Bereich in den kommenden Jahren aufbauen?
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Wie können Finanzabteilungen neue Technologien einsetzen, um ihren Wertbeitrag zu erhöhen?

Finanzabteilungen werden künftig nicht nur als passive Kommentatoren der Unternehmensperformance auftreten. Die traditionellen Bereichsgrenzen verschwimmen immer stärker und neue Themen rücken in den Fokus. Insbesondere steigen die Erwartungen an den Wertschöpfungsbeitrag. Führungskräfte sollten diesen Wandel heute aktiv gestalten, um nicht vor vollendete Tatsachen gestellt zu werden. Die Perspektive eines (fiktiven) Investors kann dabei helfen, die richtigen Schwerpunkte zu setzen.

Porsche Consulting hat im Sommer 2023 mit mehr als 20 CFOs und Finanzführungskräften aus unterschiedlichsten Branchen die aktuellen Trends und Entwicklungen diskutiert.1 Dieser Impuls gibt Einblick in ihre Sicht auf die Zukunft und leitet Handlungsempfehlungen ab.

 

Neuer Blick auf den Wertbeitrag der Finanzorganisation

Wirtschaftskrisen, Lieferkettenprobleme und Energieknappheit erhöhen den Druck auf Unternehmen. Die technologische Konkurrenz wächst, besonders aus Asien. Selbst die bisherigen Technologieführer und Hidden Champions stehen vor wachsendem Wettbewerb. Um diesen Entwicklungen zu begegnen, ist eine umfassende organisatorische Transformation nötig, um zukunftsfähig zu bleiben. Diverse Stakeholder, von der C-Suite bis zu Investoren, fordern auch deswegen verstärkt einen Wertbeitrag der Finanzabteilung. 82 Prozent der von Porsche Consulting befragten CFOs und Führungskräfte gaben an, dass eine (fiktive) Investorenperspektive für sie in Zukunft eine wichtigere Rolle einnehmen wird. Dem liegt die Überzeugung zugrunde, durch Wertsteigerung im gesamten Unternehmen einen größeren Beitrag leisten zu können, als lediglich durch die weitere Verschlankung der eigenen Prozesse. Der Finanzbereich wird sich künftig stärker an quantifizierbaren Metriken, wie dem eigenen Beitrag zur Verbesserung von EBIT und Net Cashflow, sowie an der Steigerung der Unternehmensbewertung messen lassen müssen. 

Die zunehmende Automatisierung von transaktionalen Prozessen setzt Ressourcen frei, welche für wertschöpfende Beiträge zum Unternehmenserfolg eingesetzt werden können.

Neue Themen und Stakeholder für die Finanzabteilung

Diesem neuen Blickwinkel folgend gaben 82 Prozent der befragten Führungskräfte an, die Grenzen des Finanzbereichs würden an der klassischen Außenkante von Controlling und Accounting in Zukunft neu definiert: Corporate Venturing und die Steuerung neuer Geschäftsmodelle, ESG-Reporting, Investor Relations, Corporate Governance, Data Privacy, M&A und weitere Themen gewinnen zunehmend an Relevanz. Diese Themengebiete weisen Überschneidungen mit dem Aufgabenfeld des Finanzbereichs auf, wodurch eine Verortung ebendort Potential für die Nutzung von Synergien aufweist und Finanzführungskräften die Chance bietet, sich hier frühzeitig zu positionieren. Auch IT-nahe Themen werden künftig enger an den Finanzbereich rücken, sodass eine noch stärkere Zusammenarbeit zwischen CFO und CIO zu beobachten sein wird. Business Intelligence- und Data Analytics-Lösungen werden anwenderfreundlicher und daher künftig vermehrt im Finanzbereich zur Anwendung kommen. Im Zuge dieser Entwicklung wird der Finanzbereich zunehmend auch Verantwortung für Data Governance und Datenmodelle übernehmen. 

Neben dem organischen Wandel spielen bei der künftigen Ausrichtung auch externe Faktoren eine Rolle. Rechtliche Vorgaben etwa zu Corporate Sustainability Reporting (CSRD2) schreiben, anders als der frühere Trend des „Green Controlling“, verbindliche Reporting-Standards vor. ESG-Controlling wird dabei durch dedizierte Rollen abgedeckt werden. 77 Prozent der Befragten stimmen zu, dass sich der „Sweetspot“ der Finanzabteilung der Zukunft verschiebt und sich dieser im Spannungsfeld klassischer Finanzthemen, IT und neu aufkommender Governance-Themen positioniert. CFOs müssen diese Entwicklungen in ihrer Bereichsstrategie berücksichtigen, um frühzeitig und zielgerichtet Kompetenz in diesen Bereichen aufbauen zu können.

Der kontinuierlichen Weiterentwicklung ihrer Abteilung schreiben fast alle befragten Führungskräfte eine hohe Relevanz zu, haben jedoch teils Bedenken hinsichtlich der Integration eines stetigen Verbesserungsprozesses. Die feste Implementierung einiger strukturgebender Maßnahmen kann dabei unterstützen (bspw. Zukunftsradar, Trend Scouts). Etabliert in der Governance-Rolle der Finanzorganisation von morgen, kann eine solche „Finance Foresight“ helfen, die Abteilung jederzeit anschlussfähig zu halten. Ob regelmäßige Beteiligung an Netzwerken, Expertengruppen von Industrieverbänden, Besuch von Tool-Anbietern, Konferenzen oder klassisches Desk Research – eine Finance Foresight kennt viele Gesichter und kann Mitarbeiter stärker an der Weiterentwicklung des Bereichs partizipieren lassen.

 

Synergien und Rollen geben die Organisation des Finanzbereichs vor 

Die klassischen Abteilungsgrenzen „Controlling“ und „Accounting“ werden zunehmend infrage gestellt. Synergiehebung, Stakeholder-Orientierung, Automatisierung, E2E-Verantwortung und Mitarbeiter-Skills werden stattdessen zu den organisatorischen Strukturelementen der Finanzabteilung.

Um die Rolle des CFOs im neuen Sweetspot ausfüllen zu können, müssen neue Kompetenzen im Finanzbereich aufgebaut werden.

Konjunktur haben heute schon rollenbasierte Organisationskonzepte. Diese neuen Rollen bündeln bspw. Governance-Themen, transaktionale Service-Tätigkeiten, Beratungs- und Steuerungsaufgaben sowie Data und Analytics. 63 Prozent der Befragten gaben an, dass solchen Konzepten die Zukunft gehört bzw. sie heute bereits etabliert werden. Selbst starre Finanzgremienkulturen mancher Konzerne werden durch sogenannte Boards – die sich je nach Agenda individuell zusammensetzen – agiler werden. Der Governance kommt dabei die Aufgabe zu, die neuen Arbeitsweisen zu orchestrieren. Ein Beispiel für neue Fähigkeiten und rollenbasierte Organisation in der Finanzabteilung sind „Data Scientists“. Waren sie zunächst als Exoten in „Labs“ mehr untergebracht als integriert, werden sie künftig ein fester Bestandteil im zentralen Center of Excellence der Finanzorganisation sein oder dezentral als Teil von Produktteams eingesetzt, die an konkreten Fragestellungen eng mit Business-Ansprechpartnern arbeiten. Die Gewinnung von Mitarbeitern zählt für 75 Prozent der Befragten zu den Top-3-Prioritäten. Dabei werden Talentmanagement-Initiativen sowie Up- und Re-Skilling bedeutend sein, um die neuen Finanzrollen besetzen zu können.

 

Auf der Pole Position mit einer überzeugenden Bereichsstrategie

CFOs werden bereits heute stärker an der Ausrichtung ihrer Abteilung arbeiten müssen, um die Transformation zur Chance für Stakeholder und Wertentwicklung zu gestalten. Das klassische „Target Operating Model“-Verständnis greift dafür zu kurz, da die Finanzfunktion hierbei innerhalb ihrer klassischen Grenzen gedacht wird. Eine losgelöste Behandlung von Einzelthemen führt ebenfalls nicht zum Erfolg. Um die Top-Prioritäten der CFO-Agenda zu erreichen, ist eine ganzheitliche Finanzstrategie erforderlich. Darin sind sich die Befragten nahezu einig. Doch nur rund die Hälfte von ihnen gab an, eine solche Bereichsstrategie zu haben. Wesentlich ist nicht nur die Verfolgung sorgfältig ausgewählter Prioritäten, sondern auch die Entwicklung eines überzeugenden Narrativs für die Zielorganisation. Ein solches Narrativ dient als Leitfaden für Mitarbeiter und unterstützt dabei, Stakeholder zu überzeugen.

 

Die zweite Digitalisierungswelle im Finanzbereich steht bevor

„Mit Digitalisierung transaktionale Prozesse automatisieren und mehr Zeit für Analyse und Beratung freispielen“ – ein oft gehörter Evergreen im Finanzbereich. Doch 73 Prozent der Befragungsteilnehmer waren von bisherigen Digitalisierungsinitiativen eher enttäuscht. Aktuell empfinden 59 Prozent ihre Datenverfügbarkeit und -qualität als für zielgerichtete Analysen und Handlungsempfehlungen unzureichend. Obwohl die Risiken von Tabellenkalkulationsanwendungen in Standardprozessen anerkannt werden, stimmen 86 Prozent zu, dass kritische Finanzprozesse ohne Microsoft Excel nicht geleistet werden können. In einer ersten Digitalisierungswelle wurde in vielen Unternehmen bereits mit Prototypen für den Pilotbetrieb, Robotic Process Automation und Initiativen zur Harmonisierung von Systemlandschaften experimentiert. Oftmals handelte es sich dabei um Insellösungen ohne übergreifendes Konzept. Die zweite Welle wird sich stärker auf die Integration bestehender Lösungen fokussieren, um die teils losen Enden zusammenzuziehen. Das trifft sowohl auf die BI-Tools im Front-End als auch auf die Datengrundlage zu. Es ermöglicht die Transformation starrer Prognosemodelle zu flexiblen und szenariobasierten Entscheidungshilfen.

Rund 80 Prozent der Befragten planen zudem den Einsatz von Künstlicher Intelligenz in den kommenden Jahren oder nutzen sie bereits. „Off-the-shelf“ Cloud-Lösungen bringen Predictive-Funktionen oftmals bereits als Standard mit. Mithilfe dieser Anwendungen können heute bereits verfügbare, aber oftmals nicht durchdringbare Datenmengen ausgewertet und analysiert werden. Das generiert zusätzliche Einblicke und Erkenntnisse und diese bilden die Basis, Finanzkommunikation greifbar zu machen, indem sie die Bausteine für ein zeitgemäßes Storytelling liefern. Fortschritte im Bereich Data Analytics erlauben in Zukunft zielorientierte Analysen, welche auf Basis der zu treffenden Entscheidungen für die vorliegende Fragestellung entwickelt werden können.3

Im Rahmen der zweiten Digitalisierungswelle wird sich der Automatisierungsgrad durch neue Technologien wie KI erheblich steigern.

73 Prozent der befragten CFOs und Führungskräfte blicken positiv in die Zukunft, sind sich aber auch im Klaren, dass sie künftig ihre Top-Prioritäten noch energischer verfolgen müssen (68 %), um ihren Bereich für die Zukunft gut aufzustellen. Sie gehen im Schnitt von einem Anstieg des Anteils weitgehend oder vollständig automatisierter Finanzprozesse von 22 Prozent auf 63 Prozent innerhalb der nächsten 10 Jahre aus. Neue Themen wie Investor Relations, M&A, Venturing und ESG gewinnen an Bedeutung. Somit bleiben das Generieren echter Insights, Beratung und Szenarioanalysen weiterhin wichtige Finanzaufgaben. Die Finanzabteilung wird durch Rollenkonzepte weniger restriktiv und kann sich besser auf neue Rahmenbedingungen einstellen. Sie fokussiert sich so stark wie noch nie auf datengestützte Entscheidungsfindung mittels KI, zahlt jedoch durch Nutzung von Werthebeln selbst und unmittelbar direkt auf den Unternehmenswert ein. In Zukunft überzeugen insbesondere CFOs, die bspw. mit Zero-based Budgeting4, Working Capital Management5 oder CAPEX Excellence6 wirkungsvolle Hebel einsetzen, um den Gesamtunternehmenswert zu steigern. Die Transformation benötigt eine starke Governance und einen CFO, der den Wandel überzeugend begleitet und kommuniziert.

Kernaussagen
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CFOs denken künftig verstärkt aus einer Investorenperspektive und werden anhand der Entwicklung des Unternehmenswertes bewertet.
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Die Finanzabteilung braucht eine Bereichsstrategie, um neue Themen wie Corporate Venturing, ESG Reporting, Investor Relations, Corporate Governance, Data Privacy und M&A aufzubauen.
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Die bevorstehende zweite Digitalisierungswelle ermöglicht durch Steigerung des Automatisierungsgrads und den Einsatz von KI eine bessere datengestützte Entscheidungsfindung.

Appendix

Sources
  • (1)

    Von Mai bis August 2023 wurde eine qualitative Untersuchung von Porsche Consulting durchgeführt, bei der über 20 CFOs und Finanzführungskräfte (Head of Controlling/Group Controlling) aus diversen Branchen, beispielweise aus dem Energie- oder Chemiesektor sowie dem Mobility- und Transportation-Bereich, interviewt wurden. 63 % der befragten Unternehmen generieren einen Jahresumsatz von über 500 Millionen Euro. Ziel war es, Einblicke in die Finanzorganisation, digitalen Finanzprozesse und Finanzstrategien zu gewinnen. In etwa 45-minütigen Interviews wurden Hypothesen diskutiert und Trends analysiert.

  • (2)

    CSRD (Corporate Sustainability Reporting Directive): Ab 2024 in der EU in Kraft tretende Verpflichtung für Unternehmen, über ihre Nachhaltigkeitsleistung zu berichten.

  • (3)

    White Paper: Generating Impact with AI, November 2021 | Porsche Consulting

  • (4)

    Zero-based Budgeting: Infragestellen und Neubewertung vorhandener Kostenpositionen zur Schaffung von Transparenz innerhalb der Budgetstruktur und Herbeiführung eines neuen Budgetoptimums

  • (5)

    Working Capital Management: Sicherstellung ausreichender Liquidität für Wachstum und Vermeidung von Liquiditätsengpässen

  • (6)

    CAPEX Excellence: Als Grundbausteine der Investitionsplanung (optimale Kapitalallokation) von Projekten zur Realisierung einer langfristigen Wertschöpfung

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