Der Aufstieg Chinas in der Biopharmazie

Transformation einer global relevanten Zukunftsbranche
Dr. Roman Hipp | Joey Wilson | Zhenyu Lei
Mai 2025 | Impuls | Deutsch | 10 Min.
Leitfragen
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Welche Faktoren begünstigen Chinas Aufstieg zu einem führenden Akteur in der globalen Biopharmabranche?
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Welche Herausforderungen und Chancen bringt die Transformation für internationale Pharmaunternehmen mit sich?
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Wie können internationale Pharmaunternehmen ihre Zukunft sichern und wettbewerbsfähig bleiben?

Die eskalierenden Handelsspannungen zwischen den USA und China beherrschen derzeit die weltweiten Schlagzeilen und haben meist die Zollpolitik und ihre unmittelbaren wirtschaftlichen Auswirkungen zum Thema. Im Hinblick auf die pharmazeutische Industrie wird dabei jedoch eine entscheidende Entwicklung außer Acht gelassen: der Aufstieg Chinas zu einer führenden Kraft in der biopharmazeutischen Innovation und die damit verbundenen tiefgreifenden Auswirkungen auf führende globale Unternehmen.

Jahrelang war das vorherrschende westliche Bild von Chinas Pharmaindustrie das eines großen, kostengünstigen Produktionsstandortes für wichtige Ausgangsstoffe und Generika  – im Wesentlichen eine Quelle für Standard- und Nachahmerprodukte. Doch China schaffte den Wandel zu echter Innovation mit einer Geschwindigkeit und in einer Größenordnung, die zuvor unvorstellbar erschienen. Dabei lag der Fokus zunächst weiterhin auf den traditionellen Forschungs- und Entwicklungszentren und den Märkten im Westen. 

 

Von „Made in China“ zu „Created in China“

Die Rolle Chinas in diesem Sektor hat sich grundlegend geändert. Die Verschiebung von „Made in China“ zu „Created in China“ ist unübersehbar. Erfolg definiert sich in China heute über die weltweite Anerkennung in der gesamten Wertschöpfungskette, von der klinischen Forschung bis zur Einführung innovativer Therapien. So entfielen im Jahr 2024 beispielsweise 23 Prozent der weltweiten therapeutischen Kandidaten der nächsten Generation auf China.1 Außerdem gibt es immer mehr in China entwickelte Medikamente, die international an Bedeutung gewinnen. Dies zeigt sich in einem sprunghaften Anstieg der Auslizenzierungen, die sowohl in Bezug auf die Anzahl als auch das Volumen die Einlizenzierungen übertrafen – das Volumen betrug im vergangenen Jahr 52 Milliarden USD gegenüber 8 Milliarden USD im Jahr 2020.2 Eindrucksvolle Beispiele wie eine kürzlich durchgeführte frühe klinische Studie, bei der ein neues monoklonales Antikörper-Medikament des chinesischen Unternehmens Akeso Inc. bessere Ergebnisse erzielte als das marktführende Medikament Keytruda von Merck, machen die Entwicklung noch greifbarer.3 Abgesehen von monoklonalen Antikörpern konnte China seine Vormachtstellung auch in anderen Bereichen der Spitzen-Biotechnologie weiter ausbauen, von technologischen Ansätzen wie der genetischen Sequenzierung bis hin zu Modalitäten wie Antikörper-Wirkstoff-Konjugaten und CAR-T-Zelltherapien. Ein weiterer Beleg für den Erfolg Chinas sind seine Fortschritte bei der Überwindung des sogenannten „Drug Lag“ – der verzögerten Verfügbarkeit von Arzneimitteln aufgrund nationaler Anerkennungsverfahren – durch eine Beschleunigung des Marktzugangs.

Der Wert der Auslizenzierungen chinesischer Pharmaunternehmen ist in den letzten fünf Jahren stark angestiegen
Der Wert der Auslizenzierungen chinesischer Pharmaunternehmen ist in den letzten fünf Jahren stark angestiegen.
Der Wert der Auslizenzierungen chinesischer Pharmaunternehmen ist in den letzten fünf Jahren stark angestiegen
Der Wert der Auslizenzierungen chinesischer Pharmaunternehmen ist in den letzten fünf Jahren stark angestiegen.

Beim Aufstieg Chinas in der Biopharmabranche kamen mehrere transformative Faktoren zum Tragen. Im Vordergrund stehen eine starke staatliche Unterstützung und eine strategische Priorisierung der Branche. Langfristige nationale Strategien reichen bis ins Jahr 2006 zurück. Zahlreiche politische Maßnahmen wie „Made in China 2025“, „Healthy China 2030“ und der „14. Fünfjahresplan für die Entwicklung der Pharmaindustrie“ zielen direkt und indirekt auf die Biopharmabranche als Schlüsselsektor für Wachstum und Innovation ab. Dieser strategische Vorstoß wurde mit bedeutenden regulatorischen Reformen verbunden; das gesamte Ökosystem für die Marktzulassung von Medikamenten wurde überarbeitet und die Zulassung beschleunigt. Durch die Einführung von Prioritätsprüfungspfaden konnte beispielsweise die Arzneimittelprüfung um 35 Prozent beschleunigt werden, sodass sich die durchschnittliche Zeit für eine NDA-Zulassung von 2017 bis 2021 auf 15,4 Monate verkürzt hat. Das Verfahren zur Aufnahme innovativer Arzneimittel in die Liste der erstattungsfähigen Medikamente, die „National Reimbursement Drug List“ (NRDL) wurde ebenfalls erheblich verkürzt, von fast fünf Jahren auf etwas mehr als ein Jahr.4

Chinas Gesamtausgaben für Forschung und Entwicklung (F&E) übertreffen inzwischen diejenigen der EU und schließen rasch zu den USA auf.5 Allein im Biopharma-Sektor stiegen die Ausgaben für F&E von 35 Millionen USD im Jahr 2015 auf 15 Milliarden USD im Jahr 2023.1 Darüber hinaus hat China eine starke Talentpipeline aufgebaut, mit der höchsten Anzahl von Top-100-Universitäten und Millionen von Hochschulabsolventen in den Naturwissenschaften pro Jahr. Dieses Reservoir wird durch einen „umgekehrten Braindrain“ verstärkt, da aus China stammende Wissenschaftler derzeit in Rekordzahlen zurückkehren. Gleichzeitig bietet der riesige Inlandsmarkt – der zweitgrößte der Welt – ein reichhaltiges Versuchsfeld für Innovationen, die durch eine alternde Bevölkerung und eine steigende Rate chronischer Erkrankungen angetrieben werden. Die Kosteneffizienz spielt ebenfalls eine Rolle, insbesondere bei klinischen Studien. Die Herstellungskosten sind zwar nicht mehr so niedrig wie früher, aber die direkten Kosten für Studien liegen schätzungsweise 30 bis 40 Prozent niedriger als in der EU und den USA.6 In Verbindung mit der einfacheren Rekrutierung von Patienten und der modernen Infrastruktur in zahlreichen Großstädten erhöht dies die Attraktivität Chinas für Forschung und Entwicklung.

Klinische Studien kosten in China schätzungsweise bis zu 40 Prozent weniger als in der EU und den USA
Klinische Studien kosten in China schätzungsweise bis zu 40 Prozent weniger als in der EU und den USA.
Klinische Studien kosten in China schätzungsweise bis zu 40 Prozent weniger als in der EU und den USA
Klinische Studien kosten in China schätzungsweise bis zu 40 Prozent weniger als in der EU und den USA.

Neuer Blick auf China: strategische Verschiebung der Perspektive

Um in diesem veränderten Umfeld künftig erfolgreich zu sein, müssen die europäischen und amerikanischen Akteure einen strategischen Perspektiv- und Ansatzwechsel vollziehen. Von entscheidender Bedeutung ist ein strategisches Engagement auf dem chinesischen Inlandsmarkt. Das bedeutet, dass China nicht nur als Markt für Endprodukte, sondern auch als zunehmend wichtige Quelle für neue Arzneimittelkandidaten, Spitzentechnologien und wissenschaftliche Talente angesehen werden muss. Souveränes Handeln in Zeiten geopolitischer Spannungen setzt voraus, dass in diesem komplexen Umfeld kurzfristige strategische Agilität und eine klare, langfristige Vision in Einklang gebracht werden.

Eine unverzichtbare Notwendigkeit ist die Sicherung der Lieferketten innerhalb Chinas. Dazu gehört die Umsetzung von „local for local“-Strategien, bei denen Produktions- und Beschaffungskapazitäten im Inland aufgebaut werden. Dies verringert die Abhängigkeit von Importen und trägt dazu bei, die Auswirkungen möglicher Zölle oder Handelsbeschränkungen abzumildern. Neben der Produktion sollten die Unternehmen China auch als dynamisches Innovationszentrum zu ihrem Vorteil nutzen. Das beinhaltet die aktive Nutzung des großen Pools an lokalen Talenten, insbesondere derjenigen, die über Erfahrungen in multinationalen Unternehmen verfügen, sowie die Etablierung einer signifikanten F&E-Präsenz. So gründete Roche bereits 2004 sein erstes Forschungs- und Entwicklungszentrum in China, gefolgt von einem Innovationszentrum in Shanghai im Jahr 2016.7 Bayer hat eine enge Zusammenarbeit mit führenden chinesischen Universitäten wie Tsinghua etabliert. Das Ergebnis waren zahlreiche gemeinsame Forschungsprojekte und die Einrichtung eines Life-Science-Inkubators in Shanghai, der sich auf moderne Technologien wie Zell- und Gentherapien konzentriert.8 Solche Investitionen ermöglichen es internationalen Unternehmen, auf lokales Know-how zurückzugreifen und ihre Forschungspipelines zu beschleunigen.

Die Durchführung von klinischen Studien in China ist ebenfalls unerlässlich geworden. Die schiere Menge an infrage kommenden Patienten, die Harmonisierung von Standards und Vorschriften und die Verbesserung der Infrastruktur ermöglichen eine schnellere und effizientere Patientenrekrutierung und Studiendurchführung, wodurch sich die Gesamtdauer der Arzneimittelentwicklung verkürzt. Deshalb ist China heute der weltweit führende Studienstandort: 39 Prozent aller Studien, die im Jahr 2023 weltweit begonnen wurden, haben einen oder mehrere Standorte in China, 2019 waren es noch 25 Prozent.9 Viele Unternehmen bringen ihre Medikamente sogar zuerst in China auf den Markt, um von den jüngsten regulatorischen Reformen und schnelleren Zulassungswegen zu profitieren. Allerdings bleibt es für ausländische Unternehmen eine Herausforderung, in der komplexen Marktzugangslandschaft Fuß zu fassen – im Jahr 2024 wurden nur 26 importierte Arzneimittel (29 Prozent aller 91 neu aufgenommenen Medikamente) in die NRDL aufgenommen. Die Integration in die chinesische Wirtschaft ist entscheidend für einen breiten Patientenzugang und den wirtschaftlichen Erfolg. Partnerschaften und Joint Ventures mit lokalen chinesischen Akteuren, die über die Expertise und die nötigen Beziehungen verfügen, um den NRDL-Prozess effektiv zu steuern, sind daher unabdingbar.

China stellt mehr als ein Drittel der weltweiten klinischen Studienpipeline für innovative Medikamente mit einem neuen Wirkstoffmechanismus
China ist eine zunehmend wichtige Quelle für neuartige Arzneimittelkandidaten und stellt mehr als ein Drittel der weltweiten klinischen Studienpipeline für innovative Medikamente mit einem neuen Wirkstoffmechanismus.
China stellt mehr als ein Drittel der weltweiten klinischen Studienpipeline für innovative Medikamente mit einem neuen Wirkstoffmechanismus
China ist eine zunehmend wichtige Quelle für neuartige Arzneimittelkandidaten und stellt mehr als ein Drittel der weltweiten klinischen Studienpipeline für innovative Medikamente mit einem neuen Wirkstoffmechanismus.

Außerdem ist die Anpassung an den sich entwickelnden globalen Markt mit einem Verständnis für chinesische Innovationen von entscheidender Bedeutung. Internationale Unternehmen müssen sich auf einen zunehmenden Wettbewerb mit chinesischen Firmen einstellen, nicht nur auf dem chinesischen Binnenmarkt, sondern auch auf der internationalen Bühne. Chinesische Unternehmen werden sich zunehmend um internationale Zulassungen bemühen und auf traditionell westlichen Märkten Fuß fassen.

Die proaktive Anpassung an geopolitische Verschiebungen ist nicht mehr optional, sondern eine strategische Notwendigkeit. Dazu gehört eine genaue Planung und Beobachtung der sich schnell entwickelnden Dynamik, einschließlich Zöllen, Handelsspannungen und politischen Veränderungen wie dem Biosecure Act in den USA. Dieses Gesetz zielt darauf ab, Verträge der US-Bundesbehörden und -Einrichtungen mit Unternehmen einzuschränken, die  bestimmte chinesische Biotech-Firmen nutzen, was zu einer Unterbrechung der globalen Lieferketten führen und die Lokalisierungsbemühungen beschleunigen könnte. Kurzfristige strategische Agilität muss mit einer langfristigen Vision für globale Operationen und Kooperationen in Einklang gebracht werden. Globale Lieferketten zu überdenken und zu stärken ist von entscheidender Bedeutung. Die Schlüsselrolle Chinas bei der Lieferung wichtiger Ausgangsstoffe und Wirkstoffe sowie die hochwertigen Dienstleistungen, die von chinesischen Auftragsentwicklungs- und ‑herstellungsunternehmen (CDMOs) angeboten werden, müssen anerkannt werden. Die Unternehmen müssen ihre Beschaffungsstrategien resilienter gestalten und eine Diversifizierung der Produktionspartner in Betracht ziehen, um mögliche Störungen abzufedern.

 

Den Paradigmenwechsel annehmen

Abgesehen von der wettbewerblichen Herausforderung bietet Chinas Innovation auch Chancen für eine Zusammenarbeit auf globaler Ebene. Globale Unternehmen tun gut daran, Möglichkeiten für die Lizenzierung chinesischer Innovationen auf internationalen Märkten zu prüfen. Auf diese Art können sie in China entwickelte neuartige Therapien einer breiteren weltweiten Patientenbasis zugänglich zu machen. Darüber hinaus könnten globale Unternehmen die Vermarktung von in China entwickelten Arzneimitteln auf internationalen Märkten durch strategische Partnerschaften und Vertriebsvereinbarungen unterstützen, indem sie ihre bestehende globale Infrastruktur und ihre Markterfahrung nutzen. So könnten sie Zugang zu innovativen Assets erhalten und am weltweiten Erfolg der chinesischen Biopharmaindustrie teilhaben. Chinesische Unternehmen wie Akeso, BeiGene und Hengrui haben bereits Erfolge auf der Weltbühne vorzuweisen. Dies unterstreicht, dass chinesische Innovationen das Potenzial haben, mit den großen Pharmakonzernen zu konkurrieren, und zwar nicht nur in vielen verschiedenen Regionen, sondern auch bei diversen Behandlungsformen und medizinischen Krankheitsbildern.

Kernaussagen
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Der Aufstieg der chinesischen Biopharmazie stellt einen bedeutenden Paradigmenwechsel dar, der durch eine strategische Politik, massive Investitionen und einen wachsenden Talentpool vorangetrieben wird.
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Europäische und amerikanische Akteure müssen einen strategischen Perspektiv- und Ansatzwechsel vollziehen und eine klare, langfristige Vision für ihr Handeln in diesem komplexen Umfeld verfolgen.
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Um weltweit wettbewerbsfähig zu sein, müssen westliche Pharmaunternehmen die Zeichen der Zeit erkennen – sowohl auf dem chinesischen Binnenmarkt als auch zu Hause in Europa und Nord- und Südamerika.

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Roman Hipp, Senior Partner Pharma & Medizintechnik Porsche Consulting
Dr. Roman Hipp
Branchenleiter Pharma & Medizintechnik

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