Kunden nicht im Fokus in der fragmentierten Wertschöpfungskette
Wohnen ist ein Grundbedürfnis, die Nachfrage ist also vorhanden. Dennoch bestehen unterschiedliche Wünsche u.a. hinsichtlich Design, Grundriss und Größe, Dienstleistungen und Smart-Home-Funktionalität. Die Kundenorientierung ist jedoch in der Baubranche aus zwei Gründen nur schwach ausgeprägt: Einerseits sind an der Wertschöpfungskette viele kleinteilige und wechselnde Parteien beteiligt. Jede hat ihre eigenen Ziele, zum Beispiel Investoren, Entwickler, Konstrukteure oder Generalunternehmer. Andererseits hat die letztendliche Kundschaft, also Personen, die Häuser oder Wohnungen mieten oder kaufen, andere Vorlieben und Bedürfnisse als Investoren oder Ersteigentümer – es sei denn, es handelt sich um selbstgenutztes Wohneigentum wie zum Beispiel ein Einfamilienhaus.
Mietparteien sind an der Erstellung von Immobilienprodukten oft nicht beteiligt – dabei sollten sie auf deren Wünsche hinsichtlich Grundriss, Größe, Materialien oder Smart-Home-Anwendungen ausgerichtet werden. Infolgedessen gibt es nur wenige Anreize oder praktische Konzepte zur Schaffung hochwertiger Gebäude, die sowohl dem Business Case von Investoren als auch den einzelnen Mietparteien zugutekommen.
Andere Branchen wie zum Beispiel die Automobilindustrie haben erkannt, wie wichtig es ist, die Bedürfnisse der Kundschaft zu verstehen und zu erfüllen. Dort werden individuell konfigurierbare Produkte angeboten. Marktforschung, Ableitung technischer Spezifikationen, Produktentwicklung und Markteinführung folgen hier einem standardisierten Verfahren. Diese Verfahren sind in den meisten Wirtschaftszweigen Standard. Im Ergebnis werden hochwertige Produkte mit zahlreichen Konfigurationsmöglichkeiten in einer effizienten Produktion hergestellt. Nicht jedoch in der Immobilien- und Baubranche.
Industrialisierung als mögliche Lösung für Bauindustrie
Erschwinglicher Wohnraum ist für viele Staaten weltweit besonders wichtig, und sie haben sich dafür ehrgeizige Ziele gesetzt. Deutschland möchte zum Beispiel jährlich 400.000 neue Wohnungen errichten, darunter 100.000 Sozialwohnungen12. Um das Wohnen für die Menschen in Kanada erschwinglicher zu machen, muss das Land 3,5 Millionen mehr Wohneinheiten errichten als derzeit gebaut werden13. Industrialisierung in der Bauindustrie bietet eine Möglichkeit, diese Nachfrage nicht nur hinsichtlich Kosten, Qualität und Zeit nachhaltig zu befriedigen, sondern auch mit einem Mehrwert für Mietparteien und Investoren.
Die Industrialisierung beginnt mit der Überführung der Wünsche und Anforderungen der Kundschaft in passgenaue und individuell konfigurierbare Produkte („Produktisierung“). Dazu gehört ein optimaler Grundriss für Gebäude oder Wohnungen, die besten Lösungen für Design und Materialien, Smart-Home-Anwendungen und Dienstleistungen und auch Branding, unter denen die Immobilien entwickelt und vermarktet werden. Dieser Prozess der Entwicklung hochwertiger Produkte ermöglicht auch die nachhaltige Verwendung von Materialien und eine Kreislaufwirtschaft. Wer die Wünsche und Anforderungen auf diese Weise berücksichtigt, kann den von Mietparteien wahrgenommenen Wert pro Quadratmeter um bis zu 25 Prozent steigern. Dies hat auch Einfluss auf die Zahlungsbereitschaft und somit den Business Case der Investoren.