Schneller, günstiger, besser

So kann die Baubranche mit Kundenorientierung, KI und Automation die aktuellen Herausforderungen überwinden
Roland Sitzberger | Oliver Markschläger | Christian Hunsänger
März 2024 | Impuls | Deutsch | 9 Min.
Leitfragen
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Warum muss die Baubranche schneller und effizienter werden?
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Wie kann Kundenorientierung entlang der gesamten Wertschöpfungskette Mehrwert generieren?
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Inwiefern können KI, Automation und Robotik die Branche verändern und besser machen?

Immobilien zu bauen ist teuer und langsam

Weltweit spielt die Baubranche mit einem geschätzten Umsatz von über 11 Billionen USD im Jahr 20221 für das Wirtschaftswachstum und die Infrastrukturentwicklung eine entscheidende Rolle. Allein in der EU beschäftigt dieser Wirtschaftszweig rund 25 Millionen Menschen und generiert über 1.100 Milliarden USD an Wertschöpfung (9,6 % des Gesamtvolumens in der EU). Das macht ihn zum zweitwichtigsten Ökosystem nach dem Handel2. Allerdings ist die Branche auf mehreren Ebenen mit Herausforderungen konfrontiert. Sie reichen von einer ineffizienten Wertschöpfungskette bis zu großen Mengen an Materialabfällen und Emissionen. Die Ursachen liegen in kleinteiligen Unternehmensstrukturen mit geringer Kundenorientierung, altmodischen Formen der Zusammenarbeit und geringer Digitalisierung und Automatisierung.

Laut einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft können sich die oberen 20 Prozent der deutschen Haushalte mit den höchsten Einkommen noch nicht einmal die Hälfte der angebotenen Einfamilienhäuser leisten.3 Das liegt zum Teil an den hohen Baukosten. Große technische Fortschritte gab es in der Branche lange nicht und es wurden lediglich schrittweise Prozessverbesserungen erzielt. Besonders deutlich wird dies beim Vergleich der Baubranche mit anderen Wirtschaftszweigen. So konnte zum Beispiel die verarbeitende Industrie in Deutschland ihre Produktivität gegenüber 1990 um rund 91 Prozent steigern. Die Baubranche arbeitet hierzulande aber noch immer auf dem gleichen Produktivitätsniveau wie vor 30 Jahren oder sogar darunter. In anderen Ländern und Regionen kann man ähnliche Trends beobachten. So erreichte zum Beispiel die kanadische Bauwirtschaft zwischen 1997 und 2021 eine Produktivitätssteigerung von 10,09 Prozent, während die Wirtschaft im Allgemeinen und das produzierende Gewerbe im Besonderen in dieser Zeit ihre Produktivität um 33,31 Prozent beziehungsweise 39,64 Prozent steigern konnte.4

Während andere Wirtschaftszweige in Deutschland ihre Produktivität steigern, verharrt die Baubranche sogar unter dem Niveau des Jahres 1992.

Die geringe Produktivität zeigt sich in der Überschreitung von Projektterminen und Kostenplänen – oft um über 200 Prozent (beim Drei-Schluchten-Staudamm in China stiegen die Kosten von 20 Mrd. USD auf 60 Mrd. USD5). Auch außerhalb dieser Megaprojekte verfehlen fast alle Bauvorhaben ihre ursprünglichen Ziele hinsichtlich Zeit, Kosten und Qualität. Die geringe Produktivität hat viele Ursachen, aber die traditionelle Arbeitsweise ist einer der Hauptgründe: Jedes Projekt wird einzeln angegangen, gebaut wird vor Ort und die Wertschöpfungskette ist mit 99 Prozent kleinen und mittelgroßen Unternehmen stark fragmentiert2. Das traditionelle Modell steckt in einem Teufelskreis. Die geringe Produktivität führt zu niedrigen und instabilen Projektmargen. Dadurch steht weniger Budget für Forschung und Entwicklung zur Verfügung, um große technische Fortschritte und Innovationen voranzutreiben – und hierin liegt wiederum die Ursache für die geringe Produktivität.

 

Die Baubranche verschwendet Ressourcen

Der Betrieb von Gebäuden und deren Bau ist für 55 Prozent6 des weltweiten Stromverbrauchs und 37 Prozent der7 weltweiten CO2-Emissionen verantwortlich. Zudem war die Branche für 37,5 Prozent des in Europa im Jahr 2020 generierten Abfallvolumens verantwortlich8. Zwar gibt es Initiativen zum Materialrecycling, dieses wird aber derzeit zum Großteil lediglich als Füllmaterial verwendet, beispielsweise im Straßenbau. Darüber hinaus zeigt sich, dass das Konzept einer Kreislaufwirtschaft erst am Anfang steht. Der Global Status Report 2022 prognostiziert, dass die Baubranche das net-zero-Ziel für CO2 mit ihren derzeitigen Strukturen nicht bis 2050 erreichen wird.9 Hier geht es aber nicht nur darum, Wettbewerbsvorteile zu erzielen, sondern darum, gesetzliche Verpflichtungen einzuhalten. Die Europäische Union hat den Europäischen Green Deal verabschiedet. Er enthält das Ziel, bis 2030 net-zero bei allen Neubauten zu erreichen10. Zusätzlich ist eine Verdopplung oder sogar Verdreifachung der Renovierungsquote bei Bestandsgebäuden geplant – sie liegt derzeit bei einem Prozent.11 Veränderungen sind notwendig und sie werden nicht nur von der Politik, sondern auch von der Gesellschaft eingefordert. Dies zwingt die Branche, entlang der gesamten Wertschöpfungskette – und nicht nur in den wichtigsten Materialkategorien und -segmenten – umweltfreundlichere Lösungen zu entwickeln.

Der Bau und der Betrieb von Immobilien verursacht 37 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen.

Kunden nicht im Fokus in der fragmentierten Wertschöpfungskette

Wohnen ist ein Grundbedürfnis, die Nachfrage ist also vorhanden. Dennoch bestehen unterschiedliche Wünsche u.a. hinsichtlich Design, Grundriss und Größe, Dienstleistungen und Smart-Home-Funktionalität. Die Kundenorientierung ist jedoch in der Baubranche aus zwei Gründen nur schwach ausgeprägt: Einerseits sind an der Wertschöpfungskette viele kleinteilige und wechselnde Parteien beteiligt. Jede hat ihre eigenen Ziele, zum Beispiel Investoren, Entwickler, Konstrukteure oder Generalunternehmer. Andererseits hat die letztendliche Kundschaft, also Personen, die Häuser oder Wohnungen mieten oder kaufen, andere Vorlieben und Bedürfnisse als Investoren oder Ersteigentümer – es sei denn, es handelt sich um selbstgenutztes Wohneigentum wie zum Beispiel ein Einfamilienhaus.

Mietparteien sind an der Erstellung von Immobilienprodukten oft nicht beteiligt – dabei sollten sie auf deren Wünsche hinsichtlich Grundriss, Größe, Materialien oder Smart-Home-Anwendungen ausgerichtet werden. Infolgedessen gibt es nur wenige Anreize oder praktische Konzepte zur Schaffung hochwertiger Gebäude, die sowohl dem Business Case von Investoren als auch den einzelnen Mietparteien zugutekommen. 

Andere Branchen wie zum Beispiel die Automobilindustrie haben erkannt, wie wichtig es ist, die Bedürfnisse der Kundschaft zu verstehen und zu erfüllen. Dort werden individuell konfigurierbare Produkte angeboten. Marktforschung, Ableitung technischer Spezifikationen, Produktentwicklung und Markteinführung folgen hier einem standardisierten Verfahren. Diese Verfahren sind in den meisten Wirtschaftszweigen Standard. Im Ergebnis werden hochwertige Produkte mit zahlreichen Konfigurationsmöglichkeiten in einer effizienten Produktion hergestellt. Nicht jedoch in der Immobilien- und Baubranche.

 

Industrialisierung als mögliche Lösung für Bauindustrie

Erschwinglicher Wohnraum ist für viele Staaten weltweit besonders wichtig, und sie haben sich dafür ehrgeizige Ziele gesetzt. Deutschland möchte zum Beispiel jährlich 400.000 neue Wohnungen errichten, darunter 100.000 Sozialwohnungen12. Um das Wohnen für die Menschen in Kanada erschwinglicher zu machen, muss das Land 3,5 Millionen mehr Wohneinheiten errichten als derzeit gebaut werden13.  Industrialisierung in der Bauindustrie bietet eine Möglichkeit, diese Nachfrage nicht nur hinsichtlich Kosten, Qualität und Zeit nachhaltig zu befriedigen, sondern auch mit einem Mehrwert für Mietparteien und Investoren.

Die Industrialisierung beginnt mit der Überführung der Wünsche und Anforderungen der Kundschaft in passgenaue und individuell konfigurierbare Produkte („Produktisierung“). Dazu gehört ein optimaler Grundriss für Gebäude oder Wohnungen, die besten Lösungen für Design und Materialien, Smart-Home-Anwendungen und Dienstleistungen und auch Branding, unter denen die Immobilien entwickelt und vermarktet werden. Dieser Prozess der Entwicklung hochwertiger Produkte ermöglicht auch die nachhaltige Verwendung von Materialien und eine Kreislaufwirtschaft. Wer die Wünsche und Anforderungen auf diese Weise berücksichtigt, kann den von Mietparteien wahrgenommenen Wert pro Quadratmeter um bis zu 25 Prozent steigern. Dies hat auch Einfluss auf die Zahlungsbereitschaft und somit den Business Case der Investoren.

Die Wünsche der Kundschaft hinsichtlich Raum, Design, Smart-Home-Lösungen, Dienstleistungen und Branding zu erfüllen, kann den Wert pro Quadratmeter um bis zu 25 Prozent steigern und somit die Zahlungsbereitschaft beeinflussen.

Künstliche Intelligenz spielt in diesem Teil des Prozesses eine Schlüsselrolle. In den frühen Stadien der Entwicklung kann KI die beste Lösung für eine Immobilie finden. Dabei werden Anforderungen aller Beteiligten zu Themen wie Architektur, Materialien, strukturelle Designs, Nachhaltigkeit, Smart-Home-Anwendungen, Business Cases und Grundriss ausgewertet und die maximale Übereinstimmung ermittelt. Die Entscheidungen in diesem frühen Stadium haben sehr hohen Einfluss auf den gesamten Lebenszyklus des Gebäudes – von der Materialbeschaffung über die Herstellung, die Logistik und die Montage bis zum Betrieb und schließlich den Rückbau. KI-Anwendungen können eine effiziente Umsetzung des Bauvorhabens sicherstellen, indem sie entlang der gesamten Wertschöpfungskette jeden Entscheidungspunkt mit allen verfügbaren Optionen und den Konsequenzen verbinden und so die Auswirkungen jeder Entscheidung transparent darstellen. 

Ein weiterer wichtiger Vorteil der Industrialisierung ist die Verbesserung bei Kosten, Qualität und Zeit durch mehr Automatisierung mittels Robotik in einer kontrollierten Umgebung, in der Regel einem externen Produktionsstandort. Der Einsatz von Robotern kann die Produktivität und Qualität bei der Produktion auf ein neues Niveau heben. Die Roboter können zum Beispiel zur vollständig automatisierten Herstellung individuell konstruierter Wände mit Fenstern und Türen oder zum Anbau von Wänden an ein Raummodul eingesetzt werden und so ein hochwertiges Ergebnis sicherstellen. Mithilfe der Technologie können Unternehmen dem Fachkräftemangel begegnen und im Vergleich zum traditionellen Bau vor Ort Kosten um 30 Prozent senken und bis zu 70 Prozent an Zeit sparen.

Kernaussagen
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Das aktuelle Betriebsmodell der Baubranche kann die Anforderungen hinsichtlich Absatzzahlen, Kosten und Nachhaltigkeit nicht erfüllen.
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Die konsequente Erfüllung von Wünschen und Anforderungen der Kundschaft steigert den wahrgenommenen Wert von Immobilien. Das kommt auch dem Business Case der Investoren zugute.
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Die Industrialisierung der Wertschöpfungskette steigert Produktivität und Nachhaltigkeit im Bau. Sie ermöglicht Skalierbarkeit für den schnelleren und preiswerteren Bau von hochwertigeren Immobilien.

Appendix

Sources
  • (1)

    Global Construction Industry Report 2021 (businesswire.com)

  • (2)

    Scenarios for a transition pathway for a resilient, greener and more digital construction ecosystem (ec.europa.eu)

  • (3)

    Auch für Gutverdiener wird der Hauskauf immer schwieriger (Manager-magazin.de)

  • (4)

    Labour productivity and related measures by business sector industry (statcan.gc.ca)

  • (5)

    Drei-Schluchten-Damm: Folgeschäden und Folgekosten (focus.de)

  • (6)

    Santamouris, M., Vasilakopoulou, K. (2021). Present and future energy consumption of buildings: Challenges and opportunities towards decarbonization, 2.4., doi: 10.1016/j.prime.2021.100002

  • (7)

    Embodied Carbon (newbuildings.org)

  • (8)

    CO2 emissions from buildings and construction hit new high (unep.org)

  • (9)

    2022 Global Status Report for Buildings and Construction (unep.org)

  • (10)

    Neue Energievorgaben - ohne Sanierungspflicht (tagesschau.de)

  • (11)

    The European Green Deal: What impact on the built environment? (pbctoday.co.uk)

  • (12)

    Mehr bezahlbare und klimagerechte Wohnungen schaffen (bundesregierung.de)

  • (13)

    Canada’s Housing Action Plan (budget.canada.ca)

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Dirk Pfitzer
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