„Die Informationsflut darf Ärzte nicht überlasten“
Schweizer Notfallmediziner fordert bessere Vorbereitung auf Epidemien.
25.05.2020 | Porsche Consulting – Das Magazin
Herr Professor Exadaktylos, als Direktor und Chefarzt des Universitären Notfallzentrums in Bern haben Sie den Ausbruch der Corona-Pandemie unmittelbar mitbekommen. Wie gut haben die Krankenhäuser in Europa Ihrer Meinung nach darauf reagiert?
Aris Exadaktylos: Wir sind im Februar 2020 auf dem falschen Fuß erwischt worden, weil wir geglaubt haben, dass sich die Covid-19-Epidemie nicht zu einer Pandemie entwickeln würde. Meiner Meinung nach haben wir uns dabei zu sehr auf die Erfahrungen mit vorherigen Epidemien wie der Vogelgrippe, der Schweinegrippe oder der MERS-Epidemie verlassen, die für uns Europäer relativ glimpflich verlaufen sind. Als es in Norditalien zu einem großflächigen Ausbruch kam, traf das die Kliniken dort teilweise völlig unvorbereitet. Das ist so, als ob einem eine Handgranate in den Händen explodiert. In anderen Ländern konnte man zumindest den Vorsprung nutzen, um sich auf den drohenden Patienten-Ansturm vorzubereiten. Wir in Bern haben innerhalb kurzer Zeit von einem kontrollierten System, in dem elektive Patienten und Notfallpatienten parallel behandelt wurden, beinahe auf ein Kriegsszenario umgestellt. Das bedeutete aber auch, dass wir viel improvisieren mussten.
Wenn ein Klinikbereich für eine solche Situation gerüstet sein sollte, ist es dann nicht die Notaufnahme?
Exadaktylos: Die Notaufnahmen in der Schweiz und in Europa haben in den letzten Jahren einen enormen Anstieg der Patientenzahlen verzeichnet. Sie sind Versorgungsstationen von Menschen mit lebensgefährlichen Verletzungen und Erkrankungen sowie Sammelstellen für jede Art „sozialmedizinischer“ Fälle. Da geht es um Drogenmissbrauch, psychische Probleme, aber auch um kleinere Verletzungen bei Menschen, die keinen Hausarzt haben. Das zu organisieren, ist schon unter normalen Umständen eine Herausforderung. Deswegen sind alle Krankenhäuser mit einer gut strukturierten Notaufnahme auch besser in der Lage, auf eine Pandemie, wie wir sie aktuell erleben, zu reagieren. Schließlich muss ein Patient mit einem Herzinfarkt, einem Schlaganfall oder einer lebensgefährlichen Verletzung genauso behandelt werden wie vor der Corona-Pandemie.