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Studie: Zurück zur Hochleistung

März 2022 | Industriegüter

Die Arbeitsproduktivität stellt einen essenziellen Faktor für den Erfolg eines Unternehmens dar. Doch besonders in Deutschlands Vorzeigebranche, dem Maschinen- und Anlagenbau, entwickelt sich diese zunehmend in die falsche Richtung: Während die gesamtwirtschaftliche Wertschöpfung und der Wohlstand der Deutschen stetig steigen, sinken die jährlichen Wachstumsraten der Produktivität. Die Auswirkungen der Coronapandemie haben die Lage weiter verschärft. Es fehlen Innovationen, Wachstum und Möglichkeiten zur Kosteneinsparung, um Wettbewerbsvorteile auszubauen. In Anbetracht dieser Herausforderungen identifiziert Porsche Consulting in der neuen Studie drei Handlungsfelder, um die aktuelle Krise zu überwinden. Die Studie bietet Top-Managern aus dem Maschinen- und Anlagenbau Impulse und zeigt Strategien auf, um Unternehmen langfristig zukunftssicher zu machen. Aufbauend auf der Studie „Wertschöpfungskrise im Maschinen- und Anlagenbau“ aus dem Jahr 2019 wird anhand der Wertschöpfungsmatrix von Porsche Consulting Transparenz über die strategische Weiterentwicklung der Arbeitsproduktivität im Wettbewerbsvergleich geschaffen und Zukunftsperspektiven aufgezeigt.


Zurück zur Hochleistung

Wie Top-Manager ihr Unternehmen aus der Produktivitätskrise führen können


INSIGHTS

  • 01 | Der Produktivitätsrückgang im Maschinen- und Anlagenbau hat sich seit Beginn der Coronapandemie dramatisch verschärft
  • 02 | Die Auftragslage macht Mut – doch instabile Lieferketten und die Abhängigkeit von globalen Entwicklungen erhöhen die Unsicherheit
  • 03 | Im Rahmen von drei Handlungsfeldern können Top-Manager ihr Unternehmen aus der Produktivitätskrise führen

01 | Produktivitätsrückgang

Ein Blick auf die gesamtwirtschaftliche Lage
Die Arbeitsproduktivität in Deutschland entwickelt sich in den letzten Jahren in die falsche Richtung: Während sich die gesamtwirtschaftliche Wertschöpfung und der Wohlstand der Deutschen seit der industriellen Revolution stetig erhöht haben, gehen die jährlichen Wachstumsraten der Produktivität im vergangenen Jahrzehnt stark zurück. Wurden vor 50 Jahren noch jährliche Wachstumsraten von durchschnittlich 4,3 Prozent1 erreicht, stieg die Produktivität im vergangenen Jahrzehnt inflationsbereinigt nur um 0,3 Prozent2 pro Jahr. Die Auswirkungen der Coronapandemie haben die Lage weiter verschärft. So war im Jahr 2020 die Wirtschaft insgesamt von einem Produktivitätsrückgang um -3,8 Prozent1 betroffen.

Die Kennzahl Arbeitsproduktivität misst die Wertschöpfung, die ein Beschäftigter durchschnittlich erwirtschaftet. Der starke Anstieg der Produktivität im Industriezeitalter war weitgehend auf die zunehmende Beschreibung und Aufteilung von Fertigungstätigkeiten zurückzuführen. In dieser Zeit des Umbruchs revolutionierte Frederick Taylor Anfang des 20. Jahrhunderts nordamerikanische Automobilfabriken und standardisierte die Produktionsprozesse. In den folgenden Jahrzehnten erzielten viele Unternehmer Wettbewerbsvorteile durch die detaillierte Planung und Standardisierung von Arbeitsabläufen auch außerhalb der Fabriken. Auch um die Jahrtausendwende reisten zahlreiche Firmenchefs nach Japan, um aus erster Hand die Prinzipien und Methoden des Lean Managements, der Verschlankung, Standardisierung und Optimierung von Strukturen und Prozessen, zu erlernen.

Das Ergebnis:
ein stetiges Wachstum und eine kontinuierliche Verbesserung der Arbeitsproduktivität.

Die Coronapandemie schwächt die Arbeitsproduktivität der deutschen Wirtschaft
In Deutschland stieg die Arbeitsproduktivität vor einem halben Jahrhundert inflationsbereinigt um durchschnittlich 4,3 Prozent2 pro Jahr. Im Vergleich verbesserte sich die Arbeitsproduktivität zwischen 1970 und 2020 immer noch jährlich um 1,2 Prozent (siehe Abb. 1). Trotz des anhaltenden Wirtschaftswachstums, kontinuierlich sinkender Arbeitslosenzahlen und der Digitalisierung wächst die Arbeitsproduktivität in der deutschen Industrie und den industrienahen Dienstleistungen heute jedoch langsamer als vor der weltweiten Wirtschafts- und Finanzkrise in den Jahren 2008/2009. Demgegenüber stieg die Arbeitsproduktivität im vergangenen Jahrzehnt im Durchschnitt inflationsbereinigt nur um 0,3 Prozent2 pro Jahr. Mit weltweiten Auftragseinbrüchen und instabilen Lieferketten hat die Coronapandemie die Lage weiter verschärft. Die Wirtschaft wurde 2020 durch die Auswirkungen der Coronakrise insgesamt von einem Produktivitätsrückgang um -3,8 Prozent3 betroffen.

Abb 1. Das Wachstum der Arbeitsproduktivität in der deutschen Gesamtwirtschaft von 1970 – 2020⁴

Besonders angespannt ist die Situation in der deutschen Vorzeigebranche, dem Maschinen- und Anlagenbau. In den vergangenen Jahren konnten hier weder die hohen Kosten gesenkt noch Sprunginnovationen hervorgebracht werden, die ein Produktivitätswachstum fördern und zu großen Wettbewerbsvorteilen führen könnten. Auch die steigenden Investitionen in die Digitalisierung haben sich in dieser Branche in Deutschland bislang nicht ausgezahlt. Bei den größten deutschen Maschinen- und Anlagenbauern war die Produktivität 2020 daher um 8,8 Prozent5 rückläufig. Angesichts der äußerst unsicheren Zukunftsaussichten gerät die Branche immer stärker unter Druck. Auch Ökonomen stufen die aktuelle Situation als besorgniserregend ein. Schließlich ist die Arbeitsproduktivität das Maß für die Leistungsfähigkeit einer Volkswirtschaft und wichtiger Treiber des materiellen Wohlstandes im Land.

In Anbetracht dieser Herausforderung können drei Handlungsfelder definiert werden, die Top-Managern aus dem Maschinen- und Anlagenbau dabei unterstützen, ihr Unternehmen aus der Krise zu führen. Als Fortsetzung der Studie „Wertschöpfungskrise im Maschinen- und Anlagenbau“ aus dem Jahr 20196 wird hier Transparenz über die Weiterentwicklung der Arbeitsproduktivität im Wettbewerbsvergleich geschaffen. Die Studie bietet Top-Managern Impulse, wie sie die aktuelle Produktivitätskrise überwinden und ihr Unternehmen darüber hinaus langfristig zukunftssicher machen können.

Wie lässt sich die Arbeitsproduktivität von Unternehmen messen?
Die Wertschöpfung je Mitarbeiter ist ein geeigneter Vergleichsindikator zur Erhebung der Arbeitsproduktivität in Unternehmen. Sie misst die Wertschöpfung, die ein Beschäftigter im Durchschnitt erwirtschaftet und ist damit ein wesentlicher Faktor für den Unternehmenserfolg. Es handelt sich um keine gesetzlich definierte Kennzahl. Im Rahmen der Jahresabschluss-Analyse lässt sie sich jedoch folgendermaßen errechnen:

EBIT + Personalaufwand / Anzahl Mitarbeiter

Je höher der errechnete Durchschnittswert, desto produktiver ist der Arbeitsplatz eines Unternehmens. Die Wertschöpfung je Mitarbeiter bietet einen Vergleich zwischen Unternehmen unterschiedlicher Größe.

Die Wertschöpfungsmatrix von Porsche Consulting
Die Wertschöpfungsmatrix ermöglicht den Vergleich zwischen Unternehmen bezüglich der Stärke der Wertschöpfung und deren dynamischen Entwicklung (siehe Abb. 2). Auf der y-Achse wird die Arbeitsproduktivität abgebildet, gemessen an der durchschnittlichen Wertschöpfung, die ein einzelner Mitarbeiter des Unternehmens erzielt. Dieser Wert ist indikativ für vergangene Entwicklungen der Arbeitsproduktivität und signalisiert den Ist-Zustand des Betriebes. Je höher die von einem einzelnen Mitarbeiter erbrachte Wertschöpfung, desto besser ist das Unternehmen am Markt und im Wettbewerb positioniert. Auf der x-Achse zeigt die Matrix die dynamische Entwicklung der Arbeitsproduktivität. Je größer die Wachstumsrate, umso stärker steigt die durchschnittliche Wertschöpfung je Mitarbeiter. Für die Vergleichbarkeit über den Zeitraum werden die jährlichen Steigerungsraten inflationsbereinigt dargestellt.

Abb 2. Die Wertschöpfungsmatrix von Porsche Consulting – Leistungskategorien von Unternehmen

Die Matrix ist in vier Felder untergliedert: Unternehmen, deren Wertschöpfung je Mitarbeiter unterhalb des Branchen-Medians liegt und deren Dynamik ein Wachstum oder einen Rückgang der Arbeitsproduktivität unterhalb der Inflationsrate aufzeigen, fallen in die Kategorie „Patient“. Sie haben es in der Vergangenheit verpasst, ihre Arbeitsproduktivität kontinuierlich zu steigern und scheinen diesen Negativtrend auch beizubehalten. Ohne konkrete und unverzügliche Gegenmaßnahmen droht ein weiterer Absturz der Arbeitsproduktivität und damit einhergehend Umsatz- und Gewinnbußen sowie Verluste von Marktanteilen.

Sogenannte „Sleeper“-Unternehmen konnten in der Vergangenheit die Wertschöpfung ihrer Mitarbeiter kräftig steigern und ihre Wettbewerber hinter sich lassen. Es scheint aber, dass sich diese Betriebe auf ihren vergangenen Erfolgen ausruhen. Die Folge: Die Dynamik nimmt ab. Nur durch unverzügliche und zielgerichtete Maßnahmen kann dieser Abwärtstrend noch gemildert werden bevor der Konkurrent zum Überholen ansetzt. Werden die richtigen Weichen gestellt, ist ein Sprung in die Gruppe der „Performer“ möglich. Der Betrieb kann jedoch auch abrutschen und zum „Patient“ werden.

Im Vorteil sind Unternehmen, die eine geringere Wertschöpfung je Mitarbeiter aufweisen als ihre Referenzgruppe, aber in den vergangenen Jahren deutlich aufgeholt haben und diesen positiven Trend weiterverfolgen. Auf lange Sicht werden viele Unternehmen der Gruppe „Transformer“ ihre pro Mitarbeiter erzielte Wertschöpfung so stark steigern, dass sie Betriebe mit einer schwächeren Dynamik überholen. Um den angestoßenen Trend fortzusetzen, müssen diese Unternehmen mithilfe einer Ursachenanalyse herausfinden, worauf der Erfolg ihrer Dynamik beruht – und müssen die Umsetzung konsequent verfolgen.

Am besten positioniert sind die Unternehmen, die sich in der Gruppe der „Performer“ etabliert haben. Sie weisen sowohl eine große Stärke als auch eine positive Dynamik auf im Vergleich zu ihrer Referenzgruppe. Basierend auf ihrer hohen Wertschöpfung genießen sie Wettbewerbsvorteile. Diese vorteilhafte Ausgangsposition können sie in Zukunft nicht nur halten, sondern auch deutlich ausbauen, denn ihre Steigerung der Arbeitsproduktivität liegt weit über der Inflationsrate.

Am besten positioniert sind die Unternehmen, die sich in der Gruppe der „Performer“ etabliert haben.
Sie weisen im Vergleich zu ihrer Referenzgruppe sowohl eine große Stärke als auch eine positive Dynamik auf.

02 | Trendentwicklungen im Maschinen- und Anlagenbau

Die Top-20-Unternehmen im Maschinen- und Anlagenbau haben sich verschlechtert
Die Porsche Consulting Wertschöpfungsmatrix vergleicht die Top-20-Industrieunternehmen bezüglich ihrer Stärke und dynamischen Entwicklung und zeichnet für den Zeitraum von 2016 bis 2020 ein düsteres Bild: Die Arbeitsproduktivität der Unternehmen hat sich im Durchschnitt jährlich um 2,6 Prozent7 verschlechtert (siehe Abb. 3). Das betrifft Unternehmen in der gesamten Branche. Die Betrachtung über fünf Jahre ist hierbei besonders gut für einen Vergleich geeignet, da Einmaleffekte einzelner Unternehmen die Entwicklung weniger stark beeinflussen und dadurch ein genereller Trend aufgezeigt wird.

Abb 3. Wertschöpfungsmatrix der Top-20-Maschinen- und Anlagenbauer 2016 – 2020⁷

Nur drei der 20 größten Unternehmen der Branche konnten die Produktivität in den vergangenen fünf Jahren verbessern: Exyte (ehemals M&W), SEW-Eurodrive und Claas. Somit konnten sich im Feld der Performer mit Exyte und SEW-Eurodrive nur zwei Unternehmen platzieren. Claas konnte die Produktivität zwar um 1,2 Prozent pro Jahr steigern, ist mit 80,4 Tausend Euro Wertschöpfung je Mitarbeiter jedoch nach wie vor leicht unter dem Branchendurchschnitt. Der Landmaschinenhersteller ist somit als einziges Unternehmen im betrachteten Zeitraum zwischen 2016 bis 2020 im Feld der Transformer einzuordnen. Die Unternehmen Vaillant und Jungheinrich und KION haben dieses Ziel knapp verfehlt. Bei der Jahresbetrachtung 2014 bis 2018 rangierten hier noch über ein Drittel der Unternehmen.

Auch der Werkzeugmaschinen-Anbieter Trumpf konnte in den vergangenen Jahren immer unter den Performern eingeordnet werden. Mit einer durchschnittlichen Arbeitsproduktivität von -1,3 Prozent8 nach Inflation ist das Unternehmen aus Ditzingen allerdings in das Feld der Sleeper abgerutscht, liegt mit einer Wertschöpfung von 103,7 Tausend Euro je Mitarbeiter jedoch nach wie vor im Spitzenfeld.

Der Kölner Motorenhersteller Deutz, 2013 bis 2018 noch konstant im Feld der Performer und Transformer zu finden, ist mit einer durchschnittlichen Produktivität von –5,6 Prozent9 knapp in die Gruppe der Patienten abgestiegen. Um die vergangene Spitzenposition wieder einzunehmen, setzt das Unternehmen zukünftig auf ein globales Effizienzprogramm und einen zunehmend digital ausgerichteten Service, um den Kunden einen noch größeren Mehrwert zu bieten.10

Das Geschäftsjahr 2020 stand im Zeichen der Coronapandemie. Ein Virus hat die Welt verändert und stellte auch Deutz als globalen Player mit internationalen Absatzmärkten und Lieferketten vor nie dagewesene Herausforderungen.

Dr. Frank Hiller (Geschäftsbericht 202011)
CEO | Deutz

Die Coronapandemie trifft die Branche besonders schwer
Der Blick auf 2020 zeigt die Auswirkungen der Coronakrise. Das Jahr 2020 hat der Branche schwer zugesetzt. In den zwölf Monaten sank die Arbeitsproduktivität im Schnitt um 8,8 Prozent.12 Lediglich vier Unternehmen konnten weiterhin einen Produktivitätszuwachs erreichen: GEA, Trumpf, Claas und Vaillant.

Bei GEA resultiert die starke Verbesserung zum einen aus im Vorjahr ausgewiesenen Wertminderungen einer Tochtergesellschaft, die maßgebliche EBIT-Effekte mit sich brachte. Zum anderen auf geringeren Restrukturierungsaufwendungen und operativen Ergebnisverbesserungen im Vergleich zu 2019.13 Der Grund für die Leistungssteigerung bei Trumpf ist auf konsequente Maßnahmen zur Ergebnisverbesserung zurückzuführen, die bereits vor Corona im Rahmen des „Koyer“-Programms umgesetzt wurden.14 

Auch der Landmaschinenhersteller Claas trieb die Digitalisierung schon länger voran. Auf diese Weise konnte er seine Leistungsfähigkeit erhöhen und setzte diesen Kurs auch in der Pandemie konsequent fort. Die Arbeit unter Pandemiebedingungen beschleunigte zudem bei Claas die digitale Transformation in vielen Bereichen. Dem Unternehmen half dabei insbesondere ein leistungsfähiges IT-System, das sich sofort an die neuen Herausforderungen anpassen ließ.15 Der Heizungsspezialist Vaillant hingegen profitierte vom Bauboom.

Alle anderen Top-Unternehmen der Branche verzeichneten in dem Krisenjahr ein Negativwachstum (siehe Abb. 6). Besonders stark getroffen wurde Deutz mit einer Produktivität von -37,2 Prozent und einem Rückgang der Wertschöpfung je Mitarbeiter von 94,1 Tausend Euro (2019) auf 59,1 Tausend Euro (2020).

Abb 4. Entwicklung der Arbeitsproduktivität im Maschinen- und Anlagenbau während der Coronakrise 2019 - 2020¹⁷

Die Haupttreiber des Produktivitätsrückgangs
Ausschlaggebend für den großen Produktivitätsrückgang waren vor allem der Einbruch der Auftragseingänge sowie die weltweit instabilen Lieferketten. Das Hamburger Intralogistik-Unternehmen Jungheinrich, ebenfalls knapp vom Transformer zum Patienten abgerutscht, hob die erheblichen Auswirkungen der Coronapandemie auf die weltweite 
Materialversorgung hervor, die insbesondere das Management der vernetzten Lieferketten vor große Herausforderungen stellten.18 Dabei hatte Jungheinrich mit einem Auftragsrückgang von -4 Prozent vergleichsweise geringe Verluste. Besonders stark hat sich die Krise auf den Anlagenanbieter für die Getränke- und Nahrungsmittelindustrie Krones mit -51 Prozent19 ausgewirkt (siehe Abb. 7).

Abb 5. Entwicklung der Auftragseingänge im Maschinen- und Anlagenbau 2019 – 2020: Unternehmen mit Veröffentlichung der Auftragseingangswerte²⁰

AUSBLICK

Während andere Wirtschaftszweige bereits zum Vorkrisenniveau zurückgekehrt sind, werden sich die Unternehmen aus dem Maschinen- und Anlagenbau voraussichtlich erst 2022 von diesem Rückschlag erholen. Der Grund für die Verzögerung: Wenn Firmen weltweit ihre Fabriken herunterfahren, spüren die Maschinenbauer die Investitionszurückhaltung und die Auswirkungen zuerst – vom Aufschwung hingegen profitieren sie zuletzt. Der Blick in die Zukunft ist jedoch optimistisch, da das Wachstum im Maschinenbau derzeit ungewöhnlich hoch ist.21

Für das erste Halbjahr 2021 beläuft sich der Zuwachs im Auftragseingang auf insgesamt 29 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Dabei ist das Plus an Bestellungen aus dem Ausland deutlich größer als aus dem Inland. "Nach den Order-Einbrüchen im letzten Jahr ist die jetzige Auftragslage ein Segen. Dabei konnte nicht nur die Kerbe im zweiten Quartal 2020 wettgemacht werden. Das Wachstum geht oft darüber hinaus. Das sind gute Nachrichten für die Unternehmen im Maschinen- und Anlagenbau und damit auch für die dort Beschäftigten", betont VDMA Chef-Volkswirt Dr. Ralph Wiechers.22

Dennoch ist die Zukunft weiterhin von hoher Unsicherheit geprägt, insbesondere in Bezug auf die globalen Lieferketten. Hier hat die Coronapandemie die Komplexität der globalen Lieferketten verdeutlicht und vor allem in der Lebensmittelindustrie die dramatischen Auswirkungen auf Landwirte und Verbraucher aufgezeigt, sobald eines der Glieder aus der Kette wegbricht.23

Auch der sich zuspitzende amerikanisch-chinesische Handelskrieg wird von Branchenkennern kritisch betrachtet. Dies betrifft vor allem deutsche Unternehmen, die in den USA und China produzieren und von dort aus jeweils das andere Land beliefern. Zusätzlich bringt der Handelskrieg aber auch indirekte Folgen mit sich und entfaltet eine hohe psychologische Wirkung auf Unternehmer. Dies zeigt sich beispielsweise durch geringere Investitionen chinesischer Unternehmen in deutsche Maschinen.24 Hinzu kommen ebenfalls die neuen Herausforderungen des Brexits, der den Handel zunehmend komplizierter gestalten wird.25

03 | Handlungsfelder für den Weg aus der Krise

Drei Handlungsfelder können Top-Managern aus dem Maschinen- und Anlagenbau helfen, den Weg aus der Produktivitätskrise zu finden und die anstehenden Herausforderungen zu meistern. Dafür müssen zunächst die Fixkosten gesenkt werden, um flexibel und resilient in einer dynamischen Umgebung und unsicheren Zukunft agieren zu können. Zweitens gilt es insbesondere in Vertrieb und Service die digitale Transformation voranzutreiben und auf diese Weise die Produktivität zu steigern. Als Antwort auf die global instabilen Lieferketten müssen die Lieferketten des Unternehmens analysiert und schließlich transformiert werden.

Für jede dieser drei Handlungsfelder hat Porsche Consulting die Top-10-Maßnahmen entwickelt:

A | Profitabilität durch Fixkostensenkung

  1. Analyse der aktuellen Kostenstruktur und der Fixkostenanteile sowie Identifikation von Potenzialen zur Flexibilisierung
  2. Festlegung strategischer Ziele zur Senkung und Flexibilisierung der Fixkosten
  3. Delegation der Verantwortung: Kommunikation der Kosteninitiative und Zielvorgaben im Führungskräftekreis und deren Einbindung in die Umsetzung
  4. Überarbeitung der Budgetallokation (z.B. Neuplanung des Budgets anstatt Orientierung am aktuellen Budget)
  5. Flexibilisierung (langfristiger) Verträge mit Lieferanten und/oder Kunden
  6. Festlegung zukünftiger Kernkompetenzen und Auslagerung von Nicht-Kernkompetenzen (z.B. in Shared Service Center)
  7. Verschlankung der Organisation und Umschichtung der Ressourcen auf zukünftige Wachstumsfelder
  8. Überarbeitung der Vergütungs- und Anreizsysteme der Mitarbeiter auf allen Ebenen
  9. Etablierung einer standardisierten Methodik zur kontinuierlichen Fixkostenreduzierung und -flexibilisierung
  10. Absicherung einer nachhaltigen Veränderung durch umfassende Kommunikation

B | Wachstum durch Digitalisierung im Vertrieb und Service

  1. Bewertung des Potenzials der Unternehmensstrategie für ein höheres Nutzenversprechen
  2. Bewertung des Kundenstamms im Hinblick auf dessen Relevanz in der Wertschöpfungskette, Kundenbindung und Kundennähe
  3. Bestimmung relevanter Wachstumsfelder für digitale Services und neue Geschäftsmodelle
  4. Umsetzung einer konsistenten, strategischen und dienstleistungsorientierten Kommunikation
  5. Identifikation neuer Dienstleistungen zur Steigerung des Lebenszeitwerts/Kundenwerts und der Entwicklung neuer Geschäftsmodelle für einen erhöhten Kundennutzen
  6. Optimierung des Produkt- und Dienstleistungs-Portfolios hin zu produktnahen Dienstleistungen mit kontinuierlichen Einnahmen
  7. Prüfung von Plattformen für Geschäftsbeziehungen mehrerer Unternehmen zum Aufbau herstellerunabhängiger Produkt-Service-Marktplätze oder industrieller IoT-Plattformen
  8. Entwicklung einer funktionsübergreifenden Organisationsstruktur und eines strukturierten Innovationsprozesses
  9. Transformation der Vertriebskapazitäten durch Experten, Mitarbeiterschulungen und der Integration von Vertriebspartnern
  10. Definition strategischer Steuerungskennzahlen inklusive der Unterteilung in taktische und operative KPIs

C | Resilienz durch angepasste Lieferketten

  1. Identifikation kritischer Ressourcen und Risiken auf Zuliefererebene
  2. Kritische Bewertung und Einordnung der Risiken für Zulieferer
  3. Entwicklung und Bewertung alternativer Lieferketten für die identifizierten Einzelteile
  4. Überdenken der aktuellen Beschaffungsstrategie (v.a. Second Source) und des globalen Fußabdrucks
  5. Ausgestaltung alternativer Lieferketten mit dem Fokus auf resiliente Logistikprozesse und einem verlässlichen Lieferketten-Netzwerk
  6. Bewertung von Auswirkungen der Veränderungen auf die gesamte Lieferkette
  7. Entwicklung eines digitalen Zwillings der Lieferkette für eine Echtzeit-Betrachtung
  8. Umsetzung und Kommunikation der Veränderungen für Lieferanten und Teile (z.B. alternative Transportrouten, Erhöhung der Bestände) an relevante interne und externe Stakeholder
  9. Anpassung bestehender KI-Lösungen zur kontinuierlichen Überwachung und Optimierung von Veränderungen
  10. Stärkung der Partnerschaften im Lieferanten-Ökosystem

Die Priorisierung der Maßnahmen hat unternehmens-spezifisch durch das Top-Management zu erfolgen. 
Nicht alle Maßnahmen sind für jedes Maschinen- und Anlagenbauunternehmen gleich relevant. Doch die Analysen von Porsche Consulting zeigen, dass diese drei Handlungsfelder der Schlüssel zurück zur nachhaltigen Steigerung der Arbeitsproduktivität sind. Hiermit werden die zukünftige Kostensituation verbessert und profitabilitätssteigernde Innovationen erreicht. Davon profitieren Kunden, Mitarbeiter und Eigentümer der Unternehmen. Auch wenn die Auftragsbücher im ersten Halbjahr 2022 wieder gefüllt sind, sollten Unternehmen die Maßnahmen nicht aus den Augen verlieren. Die Steigerung der Resilienz ist wichtig, um für kommende Krisen vorbereitet zu sein.

IN BRIEF

  • 01 | Die Arbeitsproduktivität in Deutschland stagniert und hat sich durch die Coronapandemie weiter verschlechtert.
  • 02 | Ökonomen und Branchenexperten bewerten die Situation im Maschinen- und Anlagenbau kritisch: Auftragseinbrüche und instabile Lieferketten sorgen bei den Top-20-Unternehmen der Branche für signifikante Produktivitätsrückgänge.
  • 03 | Die Zukunftsaussichten sind durchwachsen: Während sich die Nachfrageseite erholt, bleiben Unsicherheiten zur weiteren Auswirkung von Handelsbarrieren weiter bestehen.
  • 04 | Top-Manager müssen auf die Herausforderungen im Rahmen von drei Handlungsfeldern reagieren: Die Senkung der Fixkosten für mehr Flexibilität, eine Forcierung der digitalen Transformation insbesondere in Vertrieb und Service sowie die Analyse und Anpassung bestehender Lieferketten.

Appendix

Sources

(1) Statista - Bruttoinlandsprodukt (1970-2020) (Datenabruf 09/2019 und 11/2021); Destatis - Erwerbstätige (1991-2020) (Datenabruf 05/2019, 08/2019 und 11/2021); Statista - Inflation (1967-2020) (Datenabruf 08/2019 und 11/2021)

(2) Eigene Berechnung basierend auf: Statista - Bruttoinlandsprodukt (1970-2020) (Datenabruf 09/2019 und 11/2021); Destatis - Erwerbstätige (1991-2020) (Datenabruf 05/2019, 08/2019 und 11/2021); Statista - Inflation (1967-2020) (Datenabruf 08/2019 und 11/2021)

(3) Statista - Bruttoinlandsprodukt (1970-2020) (Datenabruf 09/2019 und 11/2021); Destatis - Erwerbstätige (1991-2020) (Datenabruf 05/2019, 08/2019 und 11/2021); Statista - Inflation (1967-2020) (Datenabruf 08/2019 und 11/2021)

(4) Inflationsbereinigt Quellen: Destatis, Statista

(5) Eigene Berechnung basierend auf: Top 20 reinen Maschinen- und Anlagenbauer in Deutschland 2020, Geschäftsberichte; S&P Global

(6) Wertschöpfungskrise im Maschinen- und Anlagenbau, Porsche Consulting Whitepaper 2019, https://www.porsche-consulting.com/de/medien/publikationen/detail/studie-wertschoepfungskrise-im-maschinen-und-anlagenbau/ (Datenabruf 10/2021).

(7) Ausschließliche Betrachtung reiner Maschinen- und Anlagenbauunternehmen in Deutschland; soweit Daten für 2020 vorliegen; 2019-Werte für: Grob-Werke, Herrenknecht, Körber, Schuler, SKF, Vaillant; Durchschnittswerte seit 2015; inflationsbereinigtes Wachstum seit 2015; vom Kalenderjahr abweichende Geschäftsjahre bei Claas, Grob-Werke, Heidelberger, Trumpf. SEW, Voith; Quellen: Geschäftsberichte der Unternehmen, S&P Global

(8) Eigene Berechnung basierend auf: Trumpf GmbH & Co. KG, Geschäftsberichte 2014-2020 

(9) Eigene Berechnung basierend auf: Deutz AG, Geschäftsberichte 2014-2020 

(10) Deutz AG: Geschäftsbericht 2020, https://geschaeftsbericht.deutz.com/2020/der-vorstand (Datenabruf 10/2021)

(11) Deutz AG: Geschäftsbericht 2020, https://geschaeftsbericht.deutz.com/2020/der-vorstand (Datenabruf 10/2021)

(12) Eigene Berechnung basierend auf: veröffentlichten Geschäftsberichte der Top 20 reinen Maschinen- und Anlagenbauer in Deutschland; S&P Global, 2020
 
(13) GEA Group AG im Bundesanzeiger: Geschäftsbericht 2020

(14) Trumpf GmbH & Co. KG: Geschäftsbericht 2020, https://www.trumpf.com/de_DE/unternehmen/trumpf-gruppe/geschaeftsbericht/ (Datenabruf 08/2021)

(15) Claas KGaA: Geschäftsbericht 2020, https://www.claas-gruppe.com/blueprint/servlet/blob/2375830/5e633d303aa03f4c04be981f9050b754/geschaeftsbericht-2020-data.pdf (Datenabruf 10/2021)

(16) Eigene Berechnung basierend auf: Deutz AG: Geschäftsberichte 2019-2020

(17) Claas, Grob-Werke, Heidelberger, Trumpf, SEW, Voith: Geschäftsberichte, S&P Global. Vom Kalenderjahr abweichende Geschäftsjahre

(18) Jungheinrich AG: Geschäftsbericht 2020, https://gb2020.jungheinrich.de/ (Datenabruf 08/2021) 

(19) Eigene Berechnung basierend auf: Krones AG: Geschäftsberichte 2019-2020

(20) Bundesanzeiger: Geschäftsberichte

(21) Knitterscheidt, Kevin: Dekarbonisierung, Digitalisierung, Decoupling: Vor diesen Herausforderungen steht der Maschinenbau, Handelsblatt vom 24.09.2021; https://www.handelsblatt.com/unternehmen/industrie/industriestandort-deutschland-dekarbonisierung-digitalisierung-decoupling-vor-diesen-herausforderungen-steht-der-maschinenbau/27638196.html?ticket=ST-129047-fUNs7te7fgL4fbWnhtXg-cas01.example.org (Datenabruf 10/2021)

(22) Pressemitteilung des Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau e.V. (VDMA) vom 5.8.2021; https://verbaende.com/news.php/Auftragseingang-im-Maschinenbau-Juni-2021-Weiter-in-der-Erfolgsspur-Orderplus-von-29-Prozent-im-ersten-Halbjahr-2021?m=143093 (Datenabruf 10/2021)

(23) Claas KGaA: Geschäftsbericht 2020, https://annualreport.claas.com/ (Datenabruf 08/2021)

(24) Augsburger Allgemeine vom 13.6.2019: Politische Konflikte setzen Maschinenbau-Branche zunehmend unter Druck, https://www.augsburger-allgemeine.de/wirtschaft/Wirtschaftspolitik-Politische-Konflikte-setzen-Maschinenbau-Branche-zunehmend-unter-Druck-id54576991.html (Datenabruf 10/2021)

(25) Handelsblatt vom 18.1.2021: Der Industrie stehen die größten Brexit-Hürden noch bevor, https://www.handelsblatt.com/unternehmen/industrie/chemie-pharma-maschinenbau-der-industrie-stehen-die-groessten-brexit-huerden-noch-bevor/26828384.html (Datenabruf 10/2021)